Wladimir Majakowski: In einer mexikanischen Stierkampfarena

Doch das meistbevorzugte und meistbesuchte Schauspiel ist der Stierkampf.
Ein riesiger, stahlkonstruierter Arenabau, in dieser Stadt das einzige regelrechte, nach amerikanischen Maßstäben breitangelegte Gebäude.
Es faßt an die vierzigtausend Besucher. Schon mehrere Tage vor dem Spektakelsonntag liest man in den Zeitungen:

»Los ocho toros, die acht Stiere« [Bild einer Annonce]

Stiere und Pferde, die an der Bataille teilnehmen werden, kann man schon vorher in den Stallungen der Toro-Arena besichtigen. Dann heißt es: die Herren Soundso, berühmte Toreadore, Matadore und Pikadore werden beim Volksfest mitwirken.
Zur festgesetzten Stunde sieht man Tausende Kutschen mit mondänen Damen, Insassinnen von Rolls-Royce-Wagen, mit kleinen Affen auf den Armen, daneben das Fußvolk von mehreren zehntausend Schaulustigen zu dem stahlkonstruierten Stadion wallen. Die Preise der längst von Zwischenhändlern aufgekauften Eintrittskarten klettern zu doppelter Höhe hinauf.
Die Arena wird geöffnet.
Die Aristokratie sichert sich die teuren Plätze auf der Schattenseite, der Plebs sitzt in der prallen Sonne, wo es billiger ist. Sind erst zwei Stiere zur Strecke gebracht – und das Gesamtprogramm sieht sechs oder acht Stück vor –, aber ein Platzregen hat den Abbruch des Massakers erzwungen, so gerät das Publikum (ich habe das am Tage meiner Ankunft erlebt) in maßlose Wut, versucht, die Verwaltungsräume zu stürmen und die Holzteile der Arena zu verwüsten.
Dann hat die Polizei nichts Eiligeres zu tun, als Feuerspritzen heranzuholen und die (plebejische) Sonnenseite des Rondells abzukühlen. Hat die Dusche nichts genützt, dann wird auf die Leute an der Sonnenseite geschossen.
Das ist die Fiesta de toros.
Eine gewaltige Menschenmenge erwartet vor dem Eingang ihre Lieblinge, die Matadore. Sehr hochgestellte Bürger streben danach, neben einem dieser stolzen Toreros fotografiert zu werden. Adlige Señoras legen dem Tierhetzer ihre Kleinkinder auf die Arme: das übt auf die Kleinen offenbar einen veredelnden Einfluß aus. Die Fotoreporter nehmen die Vorderplätze ein, beinahe schon auf den Stierhörnern, und das Kampfspiel beginnt.
Zuerst rollt eine prunkvolle, in Glanzlichtern schillernde Parade ab. Und schon fängt die Zuschauerrunde an, in Tollheit zu verfallen, alles mögliche runterzuschmeißen: Melonenhüte, Joppen, Geldbörsen, Banderillas und Handschuhe – Huldigungsgaben für ihre Lieblinge in der Arena. Schön und vergleichsweise ruhevoll verläuft sozusagen der Prolog, währenddessen der Toreador den Stier spielerisch mit dem roten Manteltuch reizt. Doch schon beim Auftritt der Banderillos, die das Tier mit ihren Wurfpfeilen wild machen, und hernach, wenn der Stier blutüberströmt und wutentbrannt den Gäulen seine Hörner in den Bauch rammt und diese Gäule der Pikadore eine Weile mit hervorgequollenem Gedärm umhergaloppieren, erst da erreicht die Wilde Verzückung des Publikums ihren Siedepunkt. Ich sah vorn einen Mann vom Sitz aufspringen, ein Matadorentuch hervorziehen und dem Stier vor der Nase schwenken.
Ich empfand ein wahres Vergnügen, als der Stier seine Hörner dem Mann zwischen die Rippen stieß: Rache für die hingemordeten Stierkameraden.
Der Mann wurde hinausgetragen.
Niemand in der Runde schenkte ihm Beachtung.
Ich konnte und wollte nicht mitansehen, wie dem Obermordgesellen der Degen gereicht wurde, damit er ihn dem Tier ins Herz stoße. Nur aus dem wahnwitzigen Gebrüll der Menge entnahm ich, daß nun alles vollbracht sei. Und unten warteten schon die Schinderknechte mit ihren blanken Messern auf Stierfell und den Fleischkoloß. Und ich bedauerte nur eines: Daß zwischen den Hörnern kein Maschinengewehr montiert werden konnte und die Stiere nicht gelernt hatten, die Angreifer mit MG-Garben zu empfangen.
Weshalb sollte man mit solch einer Menschheit Mitleid haben?
Der einzige Umstand, der mich mit der Stierhatz aussöhnen könnte, ist der, daß auch König Alfons von Spanien dagegen ist.
Der Stierkampf ist der Nationalstolz der Mexikaner.
Als der berühmte Stiertöter Rudolfo Gaona sich von dem blutigen Geschäft zurückzog, mehrere Häuser aufkaufte, sich und seine Kinder gut verproviantierte und mit Dienerschaft versorgte für die Übersiedlung nach Europa, da ging durch die gesamte Presse des Landes ein Wutgeheul, und man veranstaltete eine Rundfrage: ob ein Mann von solcher Bedeutung denn überhaupt auswandern dürfe – wer solle der heranwachsenden Generation Mexikos fortan als Leitbild dienen?

Majakowski, Wladimir. 1980[1925–26]. Meine Entdeckung Amerikas.
In: Wladimir Majakowski. Werke. Band IV.1.
Frankfurt: Suhrkamp. 115–117.