Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Leserinnen und Leser,
bisher haben wir auf ein Editorial für »Hammel & Sittich« verzichtet. Dass sich dies jetzt ändert, hat gute Gründe. Wir bauen unser etwa halbjährig erscheinendes Zirkular ein weiteres Mal aus. Bereits mit unserer fünften Ausgabe haben wir das neue Format »Einmal für alle!« eingeführt. Darin schreiben wir kurz und bündig Repliken auf wiederkehrende Fragen, Einwände und Vorwürfe rund um die Befreiung der Tiere aus dem marxistischen Spektrum. Am Ende dieser Nummer werden wir auf die Argumente eingehen, wir würden den Unterschied zwischen Mensch und Tier nivellieren und die Tiere könnten sich nicht selbst befreien.
Direkt nach dem Inhaltsverzeichnis folgt zudem mit diesem Heft eine neue Seite, die abwechselnd jeweils eines von zwei Zitaten von Karl Marx zeigt – abgebildet als Faksimile seiner Handschrift. Diese sind nicht beliebig gewählt: Im ersten kommentiert Marx die sich entwickelnde kapitalistische Tierproduktion als »Disgusting!«, also als ekelhaft und abstoßend. Im zweiten kritisiert er die Tierhaltung in Ställen als »eine Art Zellengefängnißsystem«. »In diesen Gefängnissen werden«, schreibt Marx, »die Thiere geboren u. bleiben drin bis sie are killed off«. Beide Zitate stammen aus Marx’ Exzerptheften zur Agrikultur aus den Jahren 1865/66, die in Band 18 der IV. Abteilung der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA2) veröffentlicht worden sind.
Es dürfte niemanden überraschen, dass wir an solche Urteile anschließen und uns einer Linie verpflichtet fühlen, die Marx und Engels’ Arbeiten in den Dienst der Befreiung von Arbeitern, Natur und Tieren stellt. Sozialistische Revolution im 21. Jahrhundert, sofern sie denn eine Chance erhält, wird nicht bei der Umwälzung der gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen allein aufhören.
Dass eine solche Tradition von Marx und Engels bis heute tatsächlich existiert, ist zahlreichen Linken zu verdanken, die sich in der Geschichte auch für die Tiere eingesetzt haben. Der Tübinger Autor Matthias Rude hat in seinem Buch »Antispeziesismus« Schlaglichter auf diese Historie geworfen. Der Band ist Ende 2024 neu aufgelegt worden. Wir haben für »Hammel & Sittich« im Interview mit Matthias vor allem über die Ergänzungen und Neuerungen in der zweiten Auflage gesprochen und empfehlen sein Buch wärmstens zur Lektüre.
Ein anderer alter Recke der Tierbefreiungsbewegung, der italienische Philosoph Marco Maurizi, hat uns vom Tiber zweiundzwanzig »Thesen über Wissenschaft, Materialismus und die Befreiung von Natur und Tieren« zukommen lassen. In ihnen versucht er, eine Lagebestimmung der gegenwärtigen Situation vorzunehmen. Außerdem plädiert er provokant in Analogie zur marxistischen Vorstellung vom Absterben des Staates im Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus für das »Absterben des Mensch-Seins im Sozialismus«.
Des Weiteren hat unser Genosse Daniel Horn das Buch »Vergesst Fleisch! Wie wir klug die Welt ernähren« besprochen. Der Autor Christian Weymayr lobpreist darin das Modell Rügenwalder Mühle als Best-Practice-Beispiel für den Umbau der Fleischindustrie und dessen ehemaligen Marketingchef und Geschäftsführer Godo Röben als personifizierten Pionier. Allerdings weist die mythische Geschichte der Weltrettung durch unternehmerische Innovation keinen Weg raus aus der Tierausbeutung. Es handelt sich vielmehr um eine Blaupause zur Erschließung neuer Märkte und zur Vermarktung pflanzenbasierter Fleischersatzwaren.
Im letzten Beitrag setzt Raul Lucarelli seine Serie zu Motiven der Mensch-Tier-Verhältnisse in der kulturrevolutionären Arbeit des sowjetischen Dichters Wladimir Majakowski fort. Nachdem dieser 1925 Mittel- und Nordamerika besucht hatte, veröffentlichte er im Folgejahr einen Reisebericht. Darin verurteilt er die Vorgänge in den Schlachthöfen Chicagos als »eines der abstoßendsten Schauspiele«, denen er in seinem Leben beigewohnt hat. Nicht minder kritisch geht er mit dem Stierkampf in Mexiko ins Gericht.
Wir wünschen eine anregende Lektüre!
Die Redaktion