Tierbefreiung unter Besatzung?

Zu den Grenzen von Penny Johnsons Buch über Tiere in Palästina
(english translation here)

Mit dem neusten Gaza-Krieg seit Oktober 2023, in dem im Vergleich zu vorherigen Angriffen die meisten Palästinenser ermordet worden sind, sowie der zunehmenden Siedler- und Besatzungsgewalt im Westjordanland ist auch die konkrete Rettung der Tiere, wie sie in Palästina zum Beispiel die Tierrechtsorganisationen Sulala Animal Rescue[1] und das Baladi Palestine Animal Rescue Team[2] leisten, unmittelbar dringender geworden. Gleichwohl mögen sich mit der palästinensischen Bevölkerung solidarische Aktivisten der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung Gedanken dazu gemacht haben, wie man sich überhaupt für Tiere einsetzen kann in einer Gesellschaft, in der die Bevölkerung selbst unzähligen Kriegen und einem brutalen Okkupationsregime unterworfen ist? »Können sich Menschen, die im Konflikt stehen – und unter Militärbesatzung lebende Palästinenser – mit dem Leben und Wohlergehen anderer Säugetiere beschäftigen?«[3] So wirft die seit 1982 in Ramallah im Westjordanland lebende Penny Johnson diese Frage auch in ihrem bereits 2019 erschienen Buch »Companions in Conflict« auf.

Menschen und Tiere unter israelischer Besatzung

Auf über 200 Seiten versucht die Autorin, die auch Mitbegründerin und Mitarbeiterin des Institute for Women’s Studies an der Universität Bir Zait ist, das Leben der »Tiere im besetzten Palästina«[4] zu porträtieren. Damit hofft sie nicht nur Vorschläge zum Umgang mit den eingangs formulierten Problemen zu finden. Durch die Betrachtung des gegenwärtigen und historischen gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses möchte Johnson eine weitere Perspektive auf die Situation der palästinensischen Bevölkerung unter der andauernden israelischen Besatzung eröffnen.

Der Hauptteil von »Companions in Conflict« ist nach einzelnen Tierarten gegliedert. Das Buch behandelt Esel, Kamele, Ziegen, Schafe, Kühe sowie Hyänen, Wildschweine, Schakale, Gazellen, Steinböcke und Wölfe. Jedes der acht Kapitel ist dabei einem, zwei oder drei dieser (mit Ausnahme der Kuh) in Palästina einheimischen Säugetiere gewidmet. Die einzelnen Abschnitte stellen jeweils ein Amalgam aus Geschichten über die behandelte(n) Spezies dar. Johnson trägt Berichte von ihren ausgedehnten Spaziergängen sowie Schilderungen von älteren und jüngeren Palästinensern, Auszüge aus literarischen Zeugnissen, Erwähnungen in Zeitungsartikeln und wissenschaftlichen Abhandlungen zusammen. Thematisch variieren die Beiträge stark. Sie behandeln alles Mögliche, von den Abenteuern individueller Tiere bis hin zu Veränderungen ihrer generellen Lage in den besetzten Gebieten.

Aus den von der Autorin vermengten Erzählungen wird offensichtlich, dass nicht nur die Lebensweise der Menschen von den ökonomischen und imperialistischen Entwicklungen in Palästina verändert wurde, sondern auch die Rolle der Tiere in der Gesellschaft. So wird zum Beispiel die traditionelle Haltung von Ziegen durch Kleinbauern zunehmend durch die hochtechnologisierte Milch-Industrie in Israel verdrängt. Des Weiteren sind Kamele, die in der Gegend einst omnipräsent waren, aufgrund ihrer Ersetzung durch Autos und Lastwagen fast vollständig von der Bildfläche verschwunden, während Esel im Gazastreifen wieder als Transport- und Fortbewegungsmittel benutzt werden, da aufgrund der israelischen Blockade ein chronischer Benzinmangel herrscht.

Johnsons zentrale Schlussfolgerung ist, dass nicht nur die palästinensische Bevölkerung von der israelischen Besatzung betroffen, unterdrückt und bedroht ist, sondern auch die Tierwelt. Dazu zieht sie insbesondere zwei Analogien. Zum einen argumentiert sie, dass – im Zuge der in unzähligen Kriegen und Auseinandersetzungen angewandten Gewalt – »wir alle, Menschen und Tiere, unter dem Verlust an Habitat leiden«[5]. Während den Palästinensern in den letzten Jahrzehnten insbesondere durch den illegalen Siedlungsbau im Westjordanland kontinuierlich mit dem Land auch die Lebensgrundlage entzogen wurde, sind die wild lebenden Gazellen, Steinböcke oder Wölfe durch den verschwindenden Lebensraum an den Rand des Aussterbens gebracht worden. Zum andern will sie in der weitverbreiteten Furcht vor Hyänen in Palästina den Blick der militärisch und technologisch massiv überlegenen Soldaten der israelischen Besatzungsmacht auf vornehmlich junge und männliche Palästinenser wiedererkannt haben. Auch wenn diese ihnen kaum etwas anhaben können, herrsche in beiden Fällen eine irrationale Angst: »[D]er Jäger kann den Gejagten fürchten – und der Besatzer den Besetzten«[6]. Folglich würden auch beide häufig gejagt und teils brutal getötet.

Diese beiden Analogien zwischen der Unterdrückung von Palästinensern und Tieren zeigen für Johnson auf, dass ein Ende der Besatzung nicht nur im Interesse der Menschen, sondern auch der Tiere in Palästina ist. Aber nicht nur das. Die Erhaltung der Biodiversität und ökologische Nachhaltigkeit sind für die gesamte Bevölkerung entscheidend, für Palästinenser wie auch Israelis. »Ein gemeinsames Leben«, folgert sie, »muss einen gemeinsamen Kampf sowohl gegen die israelische Besatzung als auch für die Zukunft des Landes bedeuten, das beide Völker mit all seinen Lebewesen bewohnen.«[7] Denn »solange ein Volk ein anderes unterdrückt und solange wir in einem Käfig leben«[8], kann man sich nicht effektiv für eine auf einem vernünftigen Verhältnis zur Natur basierende Gesellschaft einsetzen.

Johnson ist sich der Hindernisse vollends bewusst, die der Verbindung der Kämpfe für eine Welt, in der die Menschen, die Tiere und die Natur von der Okkupation befreit sind, im Weg stehen. Der Widerspruch zwischen den Menschen ist ihr zufolge derjenige, der alle anderen unterordnet. Die herrschende Apartheids- und Besatzungspolitik der israelischen Regierung verunmöglicht nicht nur die Zusammenarbeit zwischen palästinensischen und israelischen Aktivisten, sondern überformt auch ökologische Themen oder die Tierfrage. Johnson illustriert in ihrem Buch unter anderem mit drei Anekdoten die Widersprüche, die sich auftun können, wenn man sich unter diesen Umständen trotzdem für Tiere einsetzt, ohne die Besatzung infrage zu stellen. Dies gilt besonders, wenn westliche NGOs dies tun.

Der Widerspruch zwischen liberalem Tierschutz und Besatzungspolitik

Im Jahr 2003, während der Zweiten Intifada, ließ die Hamas Sprengstoff, der auf einen Esel gepackt war, in der Nähe einer Bushaltestelle in Jerusalem detonieren. Anders als bei einem ähnlichen Anschlag, der auf einem Marktplatz in Haifa 1939 durch die zionistische Miliz Irgun verübt wurde und der 27 Araber tötete, gab es außer dem Esel bei dieser Aktion keine Opfer. Daraufhin wandte sich die Präsidentin der internationalen Tierschutzorganisation People for the Ethical Treatment of Animals (PETA), Ingrid Newkirk, in einem Brief an den damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat. Darin bat sie ihn, alles in seiner Macht Stehende dafür zu tun, dass Tiere nicht in den Konflikt mit hineingezogen werden.

Die Veröffentlichung des Schreibens löste einen Sturm der Entrüstung in den israelischen Medien aus, die PETA vorwarfen, sich mehr für den Esel als für die israelischen Opfer der Kämpfe zu interessieren. Johnsons Neffe Aziz wiederum brach in schallendes Gelächter aus, als er von PETAs Eingabe hörte. Der Grund für diese Reaktion liegt ihrer Erklärung nach nicht darin, dass Aziz kein Mitgefühl gegenüber Tieren hat. Als die israelische Militäroperation Defensive Shield im Jahre 2002 gestartet wurde und Ramallah von der israelischen Armee gestürmt wurde, war Aziz gerade einmal sechs Jahre alt. Wer kann ihm verübeln, fragt Johnson, dass er nicht mit dem in die Luft geflogenen Esel mitfühlt, wenn er selbst als Kind miterleben musste, wie sein Vater vor seinen Augen durch die Besatzungstruppen als menschliches Schutzschild misshandelt wurde?[9]

Ist das Leben eines Tieres mehr wert als das eines Palästinensers? Das haben sich die Bewohner von Gaza auch im Jahr 2016 gefragt. Laziz, ein Bengalischer Tiger, wurde auf Wunsch des Besitzers des angeblich »schlimmsten Zoos der Welt«[10] in Khan Yunis, der sich wegen der schwierigen, kriegsbedingten Umstände nicht mehr länger adäquat um ihn kümmern konnte, von der Tierschutzorganisation Vier Pfoten nach Südafrika gebracht. Während sich ein offizieller Repräsentant des israelischen Verteidigungsministeriums über die Rücksichtname der Regierung in Israel für Tiere freute, wünschte sich wohl so mancher Bewohner des Küstenstreifens, ein Tiger zu sein. Wer dort lebt, kann diesen oft nicht einmal zur Krebsbehandlung verlassen. »Der schlimmste Zoo der Welt«, so Johnson, »hält sowohl Menschen als auch andere Tiere gefangen«[11]. Beide leiden unter der Blockade, »dennoch haben die Bewohner des Gazastreifens das Recht, sich zu fragen […] warum das Leben von Laziz mehr wert ist als das ihre «[12].

Liberaler Tierschutz à la PETA oder Vier Pfoten stößt bei der palästinensischen Bevölkerung eher auf Unverständnis als auf offene Ohren, wie die Anekdoten zeigen. Der Grund dafür liegt nicht in einer fehlenden Empathie gegenüber Tieren, sondern in der beschränkten Single-Issue-Strategie, wie sie solche Organisationen vertreten. Verfolgt man Tierschutzpolitik unter kompletter Umgehung aller anderen sich gleichzeitig aufdrängenden Fragen, wird man die betroffenen Menschen von dem Anliegen entfremden, da man ihr Leiden und ihre Kämpfe nicht entsprechend anerkennt und davon ablenkt. Durch die fehlgeleitete Herangehensweise an die Tierfrage entsteht ein Widerspruch im politischen Handeln. Wer den Kampf gegen die Tierausbeutung und gegen die israelische Besatzung nicht als Elemente einer gemeinsamen Befreiungsstrategie auffasst und führt, agiert am Ende als Tierschutzbeauftragte des westlichen Imperialismus.

Diese Widersprüche gipfelten in dem 2016 geäußerten »weltweiten Lob von Tierschutzorganisationen für die Aufnahme veganer Soldaten mit speziellen Menüs, lederfreien Stiefeln und Kleidung ohne Wolle«[13] in die Israel Defense Forces (IDF). Ahmed Safi, Tierrechtsaktivist der Palestinian Animal League und Gründer des ersten veganen Cafés in Palästina, kommentierte: »Ich bin selbst jemand, der im Alter von zehn Jahren von einem Unteroffizier der israelischen Armee so schwer geschlagen wurde, dass ich Blut aus inneren Verletzungen hustete. Wären meine Erfahrungen oder die meiner Freunde, Familie, Landsleute andere, wenn der Stiefel, mit dem ich getreten wurde, vegan wäre oder die Mütze auf dem Kopf des Scharfschützen, der meinen Onkel tötete, aus Polyester und nicht aus Wolle wäre?«[14]

Nebenbei bemerkt scheint sich am Kurs von PETA in den letzten 20 Jahren nichts sonderlich geändert zu haben. Ende November 2023, inmitten des tobenden Gaza-Kriegs, richtete dieselbe Ingrid Newkirk sich im Namen ihrer Organisation in einem Brief an António Guterres. Darin forderte sie den Generalsekretär der Vereinten Nationen dazu auf, die im Gazastreifen lebenden Tiere »in seine Pläne für dieses schwierige Gebiet mit einzubeziehen« und »dafür zu sorgen, dass die Hilfsgüter, einschließlich der veterinärmedizinischen Versorgung, den Gaza-Streifen erreichen«[15]. Gleichzeitig wird in dem Schreiben aber weder ein Waffenstillstand, geschweige denn ein Ende der dem ganzen Konflikt und menschlichen sowie nicht-menschlichen Elend zu Grunde liegenden israelischen Besatzung und Blockade gefordert.

Diese Art liberaler Tierschutzpolitik läuft nicht nur Gefahr, die Palästinenser zu entfremden, indem der Elefant im Raum ignoriert wird, sondern trägt zum Teil auch aktiv zur Rechtfertigung der brutalen Unterdrückung durch die Besatzungsmacht bei, beispielhaft vorgeführt durch das Veganwashing der israelischen Armee. Mit dieser Erkenntnis findet man zurück zu der von Johnson eingangs gestellten Frage, »wie der Tierschutz gefördert werden kann, wenn Menschen leiden«[16]. Die Antwort, die sie in ihrem Buch eher implizit mitschwingen lässt, anstatt sie explizit auszuformulieren, ist folgende: Die Menschen in Palästina können für die Belange der Tiere sensibilisiert werden, wenn die Tierfrage auf Basis der gemeinsam durch die Besatzung erfahrenen Gewalt thematisiert wird. Spielt man das Leiden der Tiere gegen das der Palästinenser aus, gehen letztere verständlicherweise auf Distanz zu Tierrechten.

Keine abschließenden Antworten

Dadurch, dass es sich im Wesentlichen mit der Lage der Tiere in Palästina befasst, ist Johnsons Buch nahezu einzigartig. Der Autorin kommt das Verdienst zu, ein bisweilen fast unbeachtetes Thema bearbeitet zu haben. Sie vermittelt eine Vorstellung vom Leben und den Geschichten der Tiere in den besetzten Gebieten und bietet dadurch einen seltenen Einblick in die palästinensische Perspektive auf dieses Anliegen und die israelische Okkupation sowie in die mitunter widersprüchliche Bearbeitung ihres Verhältnisses zueinander. Durch ihre Darstellung arbeitet sie heraus, dass die Befreiung der Tiere ohne ein Ende der Besatzung nicht verwirklicht werden kann. Gleichzeitig formuliert sie mit ihrer Schlussfolgerung, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere unter der Besatzung leiden – wenn auch in unterschiedlicher Weise – einen ersten Ansatzpunkt dafür, wie die Tierfrage im Kontext der israelischen Besatzung Palästinas verhandelt werden müsste. Nämlich gestützt auf die den Menschen und Tieren gemeine Erfahrung der Vertreibung und Verfolgung durch die Okkupationsmacht. Das sind zweifelsohne große Stärken des Buches.

Darüber hinaus ist es jedoch durch markante Schwächen und erhebliche Unzulänglichkeiten gezeichnet. Der Aufbau von »Companions in Conflict« erschwert die Lektüre. Abgesehen von der Sortierung nach Tierarten ist das Buch kaum strukturiert. Es gibt keine übersichtliche Chronologie – Johnson springt zum Teil innerhalb weniger Absätze von der Zeit des englischen Mandats zur Intifada und von da zur Prähistorie Palästinas – und reiht dabei persönliches Erlebnis an Märchen an Forschungserkenntnis. Aufgrund dieses Montagecharakters verliert man während der Lektüre leicht den roten Faden. Die Argumentationslinie verschwimmt wiederholt und verschwindet streckenweise komplett. Die Darstellung bleibt zudem größtenteils auf rein beschreibender Ebene. Folglich muss man viele der impliziten Schlussfolgerungen selbst ziehen. Das Fehlen einer systematischen und tiefgreifenden Analyse drückt sich emblematisch in vier grundlegenden Mängeln aus.

Erstens verzichtet die Autorin zugunsten allgemeiner Analogien zwischen der Gewalt und Unterdrückung, die die Tiere und die Menschen durch die Besatzung erfahren, darauf, ihre jeweiligen Spezifika herauszuarbeiten. Auch wenn Johnson recht hat, dass beide betroffen sind, kann sie einerseits die unterschiedlichen Positionen, die Palästinenser und die in Palästina lebenden Tiere in diesen ausbeuterischen gesellschaftlichen Verhältnissen einnehmen, nicht ausreichend bestimmen. Eine solche Untersuchung wäre eine notwendige Bedingung, um die Voraussetzungen und Möglichkeiten ihrer Abschaffung adäquat und konkret zu skizzieren. Andererseits müsste man berücksichtigen, dass die Existenzen der verschiedenen Tierarten in unterschiedlicher Weise von der Okkupation bedroht sind.

Dementsprechend kann Johnson zweitens eine zentrale Frage des Buches – »[w]elche Bedingungen brauchen wir, sowohl die Menschen als auch andere Säugetiere, damit unser gemeinsames Leben gedeihen kann?«[17] – nur aufwerfen und muss sie, abgesehen von dem Imperativ, die Okkupation zu beenden, beinahe etwas hilflos, unbeantwortet lassen. Zugegeben, die Entwicklungen in Israel in den letzten Jahrzehnten haben das Ziel der Abschaffung des Besatzungs- und Apartheidsregimes in immer weitere Ferne gerückt. Zudem führt einem der nun seit bereits über einem halben Jahr entfesselte Gaza-Krieg nicht nur einmal mehr das massive militärische Kräfteungleichgewicht zwischen Unterdrücker und Unterdrückten vor Augen. Er verdeutlicht auch, wie weit die israelische Regierung und die sie aufrüstenden imperialistischen Staaten im Westen bereit sind zu gehen, um die Besatzung aufrechtzuerhalten und das rechtszionistische Nationalstaatsprojekt fortzuführen. Trotz alledem würde das Ende der israelischen Kriege und Okkupation nicht gleichzeitig auch die Befreiung der Tiere bedeuten. Die Probleme des Friedens und der Gleichbehandlung im Rahmen des internationalen Systems bürgerlicher Staaten und die Abschaffung des Status von Tieren als Privateigentum und Produktionsmittel sind von unterschiedlicher Qualität.

Drittens bleiben die Vorschläge oder eher Andeutungen zur politischen Praxis für die Befreiung der Tiere in Johnsons Buch – explizit formulierte, ausgearbeitet und konkrete Ideen gibt es nicht – in zweierlei Hinsicht unzureichend. Einerseits steht sie im Buch für eine kulturelle und akademische Aufklärung über Tiere in Palästina und klassische Tierschutzpolitik ein. Auch wenn es sein kann, dass das unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen in Palästina die einzige umsetzbare Form von Aktivismus für die Tiere darstellt, ist es nichtsdestotrotz entscheidend diesen Rahmen auf die eine oder andere Art zu transzendieren. Denn wird nicht über die Grenzen des Tierschutzes hinausgewiesen, lässt er sich zum Beispiel zur ideologischen Absicherung der Tierausbeutung instrumentalisieren. Andererseits wird aus ihrem Buch nicht klar, wie die Verbindung zwischen dem Kampf für die Tiere und gegen die Besatzung, die für eine Überwindung ihres widersprüchlichen Verhältnisses essenziell ist, auf einer nicht rein nominellen, sondern auch organisatorisch-praktischen Ebene aussehen könnte.

Viertens untersucht Johnson weder die verschiedenen Akteure noch geht sie auf das Fundament des Okkupationsregimes ein. Was sind zum Beispiel die Positionen der verschiedenen politischen Parteien und Organisationen zu Tieren? Welche Rolle kann die Arbeiterklasse oder soziale Bewegungen in Israel im Kampf für die Befreiung spielen? Wie lässt sich die israelische Besatzungspolitik konzeptualisieren? Etliche solcher für das Verständnis der Situation grundlegende und für die strategische Ausrichtung des Klassenkampfs für die Befreiung der Tiere zentrale Fragen werden im Buch außen vor gelassen. Dadurch bleibt die Lektüre unbefriedigend, da sie mehr Fragezeichen zurücklässt, als dass sie Antworten liefert.

Für eine sozialistische und internationalistische Tierbefreiungsstrategie

»Companions in Conflict« stellt schlussendlich nicht viel mehr als eine erste unsystematische Annäherung an die Tierfrage in Palästina dar. Um das Thema angemessener und gewinnbringender zu behandeln, als Johnson es in ihrem Buch vermag, bräuchte es eine umfassende materialistische Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse in Palästina und der Rolle der Tiere darin. Diese kann sich nicht nur auf die unmittelbaren Auswirkungen der israelischen Besatzungspolitik beschränken, sondern müsste sich auch der Tierindustrie, den kapitalistischen Ökonomien und der Klassenzusammensetzung in Israel und Palästina, sowie den geopolitischen Verschränkungen des Konflikts zuwenden.

Solch ein Unterfangen könnte nicht nur die objektiv und qualitativ verschiedene Lage der Menschen und Tiere in diesen Zusammenhängen aufdecken und damit die Bedingungen der Befreiung beider aufzeigen. Es böte auch das Potential der Identifizierung bestimmter Gegner und konkreter politischer Ziele, anhand derer sich der Kampf gegen die Okkupation und Tierausbeutung zusammenführen ließe, anstatt paternalistische Tierschutzpolitik im Fahrwasser des westlichen Imperialismus zu betreiben. Wer sind zum Beispiel die Profiteure der Tierausbeutung und wie sieht deren Verstrickung mit der Besatzungspolitik aus? Garantiert das Apartheidssystem und die fortwährende Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung den Eigentümern der israelischen Tierindustrie ein konstantes Reservoir an überausbeutbaren Arbeitskräften? Inwiefern unterstützen Produzenten von veganen Waren nicht nur die israelische Armee, sondern auch die rechtspopulistischen und neofaschistischen Kräfte in Israel und deren Kriegs- und Okkupationspolitik? Angriffspunkte dieser Art auszumachen wäre der erste Schritt einer politischen Bewegung, wie sie Johnson eigentlich vorschwebt.

Die Integration und Vertretung von Forderungen der Tierbefreiung innerhalb des Kampfes für ein freies Palästina würde nicht nur weitere Anknüpfungspunkte für internationale Solidarität und Zusammenarbeit mit Aktivisten aus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung ermöglichen. Sie könnte auch zur Etablierung einer politischen Gegenkultur beitragen, die sich an der Rücksichtnahme auf die schwächsten Lebewesen orientiert – was der Besatzungspolitik laut Johnson diametral entgegenstünde. Als gelebte Vision vermöchte sie zur Schaffung einer Grundlage beitragen, auf Basis derer eine wirklich befreite Gesellschaft erkämpft werden könnte.

Letztlich ist die Befreiung der Tiere nicht »nur« unter Besatzung im Besonderen, sondern auch in der bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen ein Ding der Unmöglichkeit. Solange die Produktion unter der Fuchtel der Kapitalisten steht und an der Maximierung ihres Profits orientiert wird, bleibt die Tierausbeutung als lukratives Geschäft bestehen. Realiter kann deren Abschaffung folglich nur als Teil einer sozialistischen Bewegung zur Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse erlangt werden. Durch seine internationalisierte Form, flankiert von einer imperialistischen Politik, lässt sich der Kapitalismus jedoch nur durch eine internationalistische Strategie von unten erfolgreich bekämpfen. Vom Westjordanland über Gaza bis hinein ins Herz des westlichen Imperialismus gilt daher, dass die Freiheit der Menschen und Tiere nur gemeinsam und gegen die herrschenden Klassen erkämpft werden kann.

Daniel Hessen

Ein Artikel aus dem Zirkular “Hammel & Sittich”, Ausgabe 5, Juli 2024