Schocken für den Algorithmus

Die »Militante Veganerin« stutzt Tierrechtsaktivismus zum schrillen Social-Media-Spektakel zurecht

»Darf ich ein Schlachthaus bauen, wo ich Menschen reinschicke«?[1] oder »Bist du schon abgestillt?«[2]: Mit provokant gemeinten Äußerungen wie diesen präsentiert sich Raffaela Raab seit rund drei Jahren als »Militante Veganerin« im Netz. Vor allem Kurzvideos ihrer angriffigen Aussagen gingen schnell viral und haben der Wienerin einen enormen Bekanntheitsgrad als unbequeme und streitbare Figur beschert.

Ihre Reichweite hat Raab in den letzten Jahren, erst in Teilzeit, mittlerweile in Vollzeit, mit großem Eifer ausgebaut: Sie ist auf allen gängigen Plattformen wie YouTube, Instagram, Facebook, Tiktok, Discord und Twitch präsent. Hinzu kommen Beiträge auf ihrem Blog an3x.org und seit einiger Zeit sogar Songs auf Spotify. Die meisten Follower hat die »Militante Veganerin« auf YouTube mit 124.000 und Tiktok mit 526.000 Abonnenten.

Zum eigenen Content, der Millionen von Klicks verzeichnet, gesellen sich Gastauftritte bei Influencern und Online-Formaten verschiedener Plattformen – etwa eine Konfrontation mit dem antiveganen Ex-Profi-Bodybuilder Markus Rühl beim YouTuber Leeroy Matata, ein Rapbattle mit dem TikToker Ehrenmannrius sowie Streitgespräche mit dem Livestreamer Rewinside und mit Sharo vom Youtube-Kochkanal BeastKitchen. Außerdem hat die »Militante Veganerin« Gina-Lisa Lohfink für ein gefilmtes »veganes Abendessen« getroffen, einen Song bei »Deutschland sucht den Superstar« performt und war im österreichischen Fernsehen zu Gast. Kurzum: Sie scheint jede Bühne zu nutzen, die sie bekommen kann.

Ein derart großer medialer Rummel um jemanden, der sich für Tierrechte und Veganismus stark macht, ist im deutschsprachigen Raum ein Novum. Im Gegensatz zu den Inhalten oder der Form der Gespräche ist ihr medialer Auftritt jedoch schon das einzige Neue, was uns die »Militante Veganerin« präsentiert. Ihr polarisierendes Auftreten wie auch das Spektakel, das sie um sich kreiert, sind auf eine bewusste Medienstrategie und Inszenierung zurückzuführen. Dass die »Militante Veganerin« mehr Kontrolle über ihr Auftreten besitzt, als es zuweilen scheint, und dass sie ihre Streitlust im vollen Bewusstsein über das Funktionieren heutiger Social-Media-Algorithmen kultiviert, darüber spricht sie ganz offen.

Mit ihrer Netz-Präsenz erreicht Raab hauptsächlich ein jüngeres Publikum. Für viele dürfte sie der erste Berührungspunkt mit Veganismus und dem Einsatz für Tierrechte sein. Eine Chance für die Tierbefreiungsbewegung? Leider nicht. Weil bei Raab Inhalte hinter Effekthascherei und Emotionen zurücktreten, sie falsche politische Schlüsse popularisiert und der Öffentlichkeit ein größtenteils negatives Stereotyp von Veganern präsentiert, schadet ihr Online-Spektakel dem Anliegen der Tierbefreiungsbewegung mehr als es ihr nutzt.

Emotionalisierung als Selbstzweck

Die Geschichte der »Militanten Veganerin« ist schnell erzählt: Quasi über Nacht sei Raab 2020 von einer Vegetarierin zur Veganerin und Aktivistin geworden, sagt sie, nachdem bei ihr im Streitgespräch in der Familienrunde der Groschen gefallen sei. Ihr Einstieg in den Aktivismus seien sogenannte »Outreach-Gespräche« unter anderem der Organisation Anonymous for the Voiceless (AV) gewesen – also Diskussionen mit Passanten, die über Tierausbeutung aufklären und die Gesprächspartner zum Veganismus führen sollen. Dabei habe sie überlegt, wie sie mehr Menschen erreichen könne und schließlich angefangen, Gespräche zu filmen und online zu stellen – in voller Länge auf YouTube und als kürzere Ausschnitte, sogenannte Shorts, auf Instagram und TikTok[3]. Wofür genau tritt die Influencerin dabei ein? Laut Eigenaussage zielt ihr Aktivismus darauf, »Menschenrechte für Tierpersonen zu etablieren und somit die Tierversklavung zu beenden«[4]. Sie fordert eine rechtliche Aufhebung des Objektstatus von Tieren sowie eine Abkehr von Tierausbeutung und Speziesismus. Zudem will sie den Begriff des Veganismus wieder politisch aufladen, denn dieser sei in den letzten Jahren zum reinen Lifestyle verkommen[5].

Das hört sich erst einmal vernünftiger an als das Hypen veganer Produkte, mit dem sich Teile der veganen Bewegung der Industrie angedient und damit letztlich deren Marketing übernommen haben, wodurch die vegane Lebensweise politisch entkernt wurde. Bleibt die Frage, wie die »Militante Veganerin« die Idee des Veganismus politisch füllen will und was sie in den Diskussionen vermittelt.

Raabs Strategie in auf Video festgehaltenen Gesprächen mit Passanten funktioniert in erster Linie so, dass sie ihre Gegenüber fragt, warum sie nicht vegan leben, um sie dann moralisch empört anzuprangern. Sie konfrontiert dabei allerdings ausschließlich Passanten, die als Konsumenten keinerlei direkte Verfügungsgewalt über die Geschicke der Fleischindustrie haben. Die Militante Veganerin verbleibt damit allein auf der Ebene der Konsumkritik und lenkt den Fokus weg von den gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnissen als auch vom Hauptgegner der Tierbefreiungsbewegung: der Tierindustrie, die die Produktion organisiert.

Die Sprache, der sich die »Militante Veganerin« bedient, zielt auf Emotionalisierung. So setzt sie zum Beispiel auf die altbekannte Strategie, beschönigende Begriffe für alltägliche Formen der Tierausbeutung und deren Produkte mit nicht beschönigenden zu ersetzen, wenn sie etwa vom »Vergasen« und »Schreddern« männlicher Küken oder von »Muttermilch« statt »Kuhmilch« spricht. Obwohl sie damit richtigerweise gegen die verharmlosende und verschleiernde Sprache der Tierindustrie antritt, geht es ihr beim Einsetzen der Gegenbegriffe wohl hauptsächlich um deren Schockwirkung. Es mag ihr zwar so vielleicht gelingen, Menschen auf der Affektebene anzusprechen. Dabei bleibt es aber dann auch: Eine echte Analyse oder Position, warum die Fleischindustrie abgeschafft werden muss, wird nicht vermittelt. Am Ende beharrt Raab nur darauf, dass die Passanten vegan werden sollen. Die Änderung individuellen Konsumverhaltens wird dabei als der einzige Weg ausgegeben, Tierausbeutung zu beenden. Notwendige Schritte auf dem Weg zur Aufhebung der Tierausbeutung, wie die Enteignung und Konversion der Fleischindustrie, bleiben damit außen vor.

Kein Vergleich erscheint ihr unangebracht

Hinzu kommen teils geschmacklose, primär auf Skandalisierung zielende Analogien. So zieht Raab in den Gesprächen Vergleiche zu Sklaverei, Vergewaltigung, Rassismus, Kinderpornografie und auch dem Holocaust. Hinter letzterem Vergleich, der vor allem in den 2000er-Jahren von PETA populär vertreten – und vom linken Flügel der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung früh als unhistorische Entkontextualisierung und Trivialisierung kritisiert wurde[6] – steht sie nach wie vor, obwohl sie dafür zu Recht in der Kritik steht. Raab will zeigen, dass Gewalttaten geächtet werden, wenn sie sich gegen Menschen richten, in Bezug auf Tiere aber gesellschaftlich akzeptiert sind.

Darüber hinaus wirkt es jedoch so, als dienten diese Vergleiche lediglich der Skandalisierung um ihrer selbst willen. Die »Militante Veganerin« instrumentalisiert die Phänomene von Gewalt und Ausbeutung, statt dass sie zur Aufklärung über deren Ursprünge, ihren gesellschaftlichen Zusammenhang oder auch ihre Verflechtung mit der Tierfrage beitragen würde. Den politischen Bewegungen die sich die Beendigung der verschiedenen Formen von Gewalt auf die Fahne geschrieben haben, helfen Raabs Aktionen wiederum auch nicht: So läuft sie beispielsweise bei Pride-Demos mit, um die Teilnehmenden anzuklagen, nicht vegan zu sein[7], statt sich mit fortschrittlichen Positionen zu solidarisieren und das eigene Anliegen ebenfalls einzubringen.

Altbekannte Argumentationen und Inhalte

Woher kommen die Kommunikationsstrategie und Inhalte der »Militanten Veganerin«? Raab spricht in Podcasts mit veganen Influencern, die ähnliche Positionen wie sie vertreten, relativ offen darüber, dass sie die Emotionalisierung des Themas bewusst einsetzt. Ihre Argumentationsweise decke sich mit der von veganen Outreachern aus dem englischsprachigen Raum, die Gespräche mit Passanten führen oder Vorträge halten. Als Einflüsse erwähnt sie unter anderem Ed Winters, bekannt und aktiv als »Earthling Ed«, die australischen Tierrechtsaktivisten Joey Carbstrong und Tash Peterson sowie Gary Yourofski – einen bekannten Aktivisten, der von PETA in den 2000er-Jahren für Auftritte und öffentliche Talks bezahlt wurde und den Holocaust-Vergleich popularisiert hat[8]. Außerdem habe sie Bücher zu Tierrechten und Tierethik von Gary Francione, Peter Singer und Charles Patterson gelesen, an denen sie sich orientiere[9].

Wie ihre Inhalte ist auch ihre Argumentationsstrategie nicht selbst erfunden: Vergleicht man ihre Gesprächsführung mit dem Handbuch von AV, das sie auf ihrem Blog verlinkt[10], zeigen sich einige Parallelen. So etwa der Umgang mit gängigen Einwänden, die Strukturierung der Gespräche nach »Eröffnung«, »Behandlung aller Einwände« und »Schluss« sowie die Tipps zum Umgang mit unterschiedlichen Reaktionen. Im Prinzip steht die »Militante Veganerin« also für popularisierte Vegan-Outreach-Gespräche mit Tierrechtsinhalten, die heute vor allem in den Cubes of Truth von AV[11] angeführt werden. Der Hauptfokus liegt dabei auf Antispeziesismus und Veganismus als politische Lebensweise. Von Gesellschafts- oder Kapitalismusanalyse keine Spur.

Bei allen Gemeinsamkeiten unterscheidet sich jedoch die Haltung der »Militanten Veganerin« gegenüber den Passanten von derjenigen, die AV vorschlägt: Statt der im AV-Handbuch präsentierten fragenden und verständnisvollen Herangehensweise, die zum Ziel hat, dass sich die Gesprächspartner eigenständig für den Veganismus entscheiden, konfrontiert sie ihre Gegenüber moralisch und unterstellt eine direkte Mittäterschaft bei der Tierausbeutung[12].

Marketing-Methoden statt Politik

Raab spricht in Podcast-Gesprächen offen über die Überlegungen, die in die Entstehung ihrer Figur geflossen sind: »Ich habe mir das strategisch überlegt, wie ich da auftreten möchte. Ein bisschen eine Erkenntnis, dass es dahingehend, was den ethischen Ernst betrifft, eine Marktlücke gibt im deutschen Sprachraum« [13]. Raab, die einmal bei der Investmentsendung »Höhle der Löwen« einen von ihr mitkreierten Wärmeflaschengürtel beworben hat, bezeichnet ihren Aktivismus als von Grundsätzen des Marketings inspiriert: Statt eigene Produkte zu erfinden, solle man besser zwei bekannte Produkte zusammenführen[14]. In ihrem Fall werden der Antispeziesismus und Veganismus der 2000er, von AV aufbereitet und auf der Straße weiter popularisiert, nun von der »Militanten Veganerin« mittels sozialer Medien verbreitet. Dementsprechend stehen hinter Gesprächsführung und Auftreten zum einen Erkenntnisse aus den Wirtschaftswissenschaften und der Psychologie, wie sie in Outreach-Gesprächen eingesetzt werden, und zum anderen solche über das Funktionieren sozialer Medien.

Ist Raabs öffentliche Figur womöglich also nur ein Geschäftsmodell? Darüber kann nur spekuliert werden. Auf die Ausschüttungsbedingungen von Tiktok umgerechnet, würden die von ihr genannten 20 Millionen Klicks auf ein Video bestenfalls wenige hundert Euro einbringen[17]. Die Tatsachen, dass sie mittlerweile Securitykräfte für die Begleitung bei ihren Straßengesprächen bezahlt, dass sie auf Tiktok sowie Instagram immer wieder gelöscht wurde und ihre Online-Reichweite deshalb mehrmals neu aufbauen musste[18], sowie dass sie – zumindest von außen ersichtlich – keine Werbepartnerschaften eingegangen ist, sprechen zumindest dagegen, dass sie mit ihren Online-Aktivitäten reich werden dürfte.

Algorithmischer Populismus

Vorgehensweisen wie die von Raab wurden in jüngerer Zeit mit den Begriffen des »Algorithmic Populism« oder »Algorithm Awareness« bezeichnet: Das algorithmenbasierte Funktionieren sozialer Medien wird von Aktivisten eingesetzt, um mit den politischen Inhalten möglichst viele Menschen zu erreichen. Um das (langfristig) zu schaffen, soll zum einen eine möglichst große Anzahl an Followern gewonnen werden, zum anderen müssen Beiträge vielen Menschen angezeigt werden, die (noch) keine Follower sind. Dazu benötigt ein Post reichlich Klicks, häufiges Teilen und viele »Likes«. So stehen Influencer unter dem Zwang, regelmäßig Neues zu liefern, schon allein um die gewonnene Reichweite aufrechtzuerhalten. Denn wer seltener neuen Content liefert, dessen Beiträge werden irgendwann weniger Nutzern angezeigt – wie auch die »Militante Veganerin« weiß: »Ich habe in der letzten Woche 20 Millionen Leute nur durch TikTok erreicht. Und wenn ich jetzt halt nichts poste, dann werde ich in der nächsten Woche nur 17 Millionen Leute erreicht haben.«[16] Jedenfalls nimmt ihre Ausrichtung auf den Algorithmus direkten Einfluss auf die Art ihres Auftreten, wie sie selber weiß. Raab äußert, dass sie auch mal Straßengespräche absichtlich eskalieren lasse, wenn sie merke, dass sie die Person nicht überzeugen könne, so dass sie mit dem Content wenigstens online viel Aufmerksamkeit erreicht: »Manchmal denke ich: Kamera steht gut. Eskalation!«[15].

Raab betreibt ihre Emotionalisierungsstrategie also nicht nur aufgrund individualpsychologischer Abwägungen mit Blick auf ihre Gesprächspartner, sondern auch im Wissen darum, dass kontroverse Social-Media-Inhalte mit Schockwirkung im Netz stärker verbreitet und öfter geteilt werden.

Die Gefahren dieses zwangsweise auf Reichweite orientierten Online-Aktivismus liegen auf der Hand. Es gilt, Auftreten, Argumentationsweise und Gesprächsinhalt plattformkonform zu gestalten und der Eigenlogik konzerngesteuerter Algorithmen anzupassen sowie ein Spektakel um die eigene Person zu generieren. Das eigentliche Ziel und die Inhalte, sofern vorhanden, drohen dabei ins Hintertreffen zu geraten.

Kritik trifft nicht den Kern

Der Fokus auf Zahlen und Reichweite im Social-Media-Einsatz gegen Tierausbeutung bringt es auch mit sich, dass die eigene Person ins Zentrum gestellt werden muss. Kein Wunder also, dass Kritiken vor allem auf die Person und das Verhalten der »Militanten Veganerin« abzielen. Dabei bleibt aber nicht nur die Diskussion rund um Tierausbeutung außen vor – auch der Kern des Problems wird nicht erfasst.

Mehrere Beispiele der jüngeren Zeit verdeutlichen dies: In verschiedenen »Exposed«-Videos und einem Disclaimer-Text unter einem Video beim YouTuber Leeroy Matata wird sie zu Recht unter anderem dafür kritisiert, durch ihre Präsenz auf einem rechtsoffenen Server der Streaming-Plattform Twitch sowie durch Gastauftritte bei rechten Influencern wie Feroz Khan von Achse Ost:West oder KasperKast deren Reichweite zu erhöhen[20]. Raab setzt bei der Wahl ihrer Diskussionspartner die falschen politischen Grenzen und wird selbst am besten wissen, dass sie den modernen Rechten damit zusätzliche Klicks und Reichweite beschert. Das kann wiederum leicht gegen die Tierbefreiungsbewegung instrumentalisiert werden. Schließlich ist es so ein Leichtes, getreu dem Motto »aus Tierfreunden werden schnell Menschenfeinde« die altbekannte Mär zu verbreiten, Tierrechtsaktive hätten einen Hang zu rechtem Gedankengut. Ein gefundenes Fressen also für alle, die die Anliegen der Tierrechtsbewegung zu diskreditieren suchen und sie nicht als Teil progressiver sozialer Bewegungen sehen wollen.

Die »Militante Veganerin« ist keine Gefahr für das Fleischkapital

Was in der oben beschriebenen Kritik kaum zur Sprache kommt und eigentlich des Pudels Kern darstellt, ist Raabs Falschdarstellung sowohl der Ausbeutung von Tieren im Kapitalismus als auch ihrer Verursacher, aus der sie wiederum ihre Kommunikationsstrategie ableitet. Wie auch die auf ihrem Blog empfohlenen Vegan-Filme hat Raab in ihren Gesprächen Menschen einzig als Konsumenten vor Augen, die über ihre Kaufentscheidung die Situation der Tiere zu verantworten hätten – und die sie daher auch möglichst effekthascherisch und emotionalisiert beeinflussen will. Sie spricht ihnen, wie es oft von der Tierrechtsbewegung gemacht wird, durch ihre Konsumentscheidung ein Mitspracherecht in den Produktionsverhältnissen zu – die Nachfrage bestimme das Angebot –, das sie so aber nicht haben. Dass es vielmehr konkrete Kapitalisten sind, die aus der Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung der Tiere einen buchstäblichen Mordsprofit schlagen – davon ist bei der »Militanten Veganerin« nirgends die Rede, und sie werden dadurch letztlich aus der Verantwortung genommen. Damit popularisiert Raab einen strategischen Ansatz, der einzig einen Kulturwandel in der Konsumsphäre propagiert, die Ebene der Produktion aber außen vor lässt. Es sind aber nicht „die“ Menschen, die für die Ausbeutung und Ermordung der Tiere verantwortlich zeichnen, sondern zuallererst die Vertreter des Fleischkapitals, die das Kommando in der Fleischindustrie haben und die den Tiermord in Auftrag geben, noch bevor die Konsumenten vor dem Ladenregal irgendetwas entscheiden können. Letztlich spielt Raab dem Fleischkapital sogar in die Karten: Die Forderung nach Veganismus allein, die sie bar jeder Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse erhebt, fördert letztlich nur den Absatz der konzerneigenen Vegan-Produkte, die die Fleischfirmen ja längst selbst herstellen. Gleichzeitig kann ihnen das von Raab präsentierte Abziehbild der »nervigen Veganerin« auch dienlich sein, um Veganer als nervige Moralapostel zu diskreditieren. Die Passanten, die sie wie potenzielle Feinde behandelt, werden aufgrund ihres Vorgehens entweder abgeschreckt oder ihnen werden falsche Lösungen zur Beendung der Tierausbeutung präsentiert, statt sie für gemeinsame Kämpfe um gesellschaftliche Veränderungen zu gewinnen, die es zum Beenden der Tierausbeutung zu erreichen gilt und die auch im Interesse der Lohnabhängigen wären[21].

…und die Tierrechtsbewegung?

Was drückt sich in dieser Entwicklung aus? Sie zeigt, dass zumindest ein Teil der Tierrechtsbewegung offensichtlich keine eigenständige politische Strategie oder Kultur vorweisen kann, wenn er sich gemäß Marketingerkenntnissen organisiert und auf Kosten echter Kollektivität und theoretisch und analytisch unterlegten politischen Handelns reiner Influencerlogik bedient. Dieser Zustand ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Tierrechtsbewegung seit Jahren keine echten Erfolge verbuchen konnte und inhaltlich stagniert. Dass eine Figur wie die »Militante Veganerin« überhaupt so populär werden kann, ist also auch ein hausgemachtes Problem: Letztlich verkörpert die Figur den inhaltlichen, strategischen und organisatorischen Stillstand eines Teils der Bewegung. Bei aller Kritik an der »Militanten Veganerin« muss sich also auch die Tierrechtsbewegung fragen, ob eine solche Person derartige Bekanntheit bekommen hätte, wenn die Bewegung stärker wäre. Um tatsächliche Fortschritte im Kampf gegen die Tierausbeutung zu erzielen, müsste man sich schlagkräftig anhand einer politischen Agenda organisieren, die auf die Veränderung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse gerichtet ist.

Kurzum, statt den Veganismus wieder zu politisieren, was eigentlich ihr selbsterklärtes Ziel ist, emotionalisiert und moralisiert die »Militante Veganerin« ihn. Mittels Marketingerkenntnissen und dem Wissen über das Funktionieren von Algorithmen serviert sie im Endeffekt also alten Wein in neuen, digitalen Schläuchen. Ihre Erscheinung gehört zur Spektakelkultur unserer Zeit und spiegelt zugleich wider, dass sich ein Teil der Tierrechtsbewegung im Kulturkampf verrannt und sich inhaltlich wie strategisch seit den 2000er-Jahren nicht weiterentwickelt hat.

Monika Kern

Ein Artikel aus dem Zirkular “Hammel & Sittich”, Ausgabe 5, Juli 2024