Superspreader Fleischkapital

Das Agrobusiness als Treiber der Coronapandemie und anderer Seuchen

Schon vor dem Jahr 2020 war es nicht mehr die Frage, ob es zu einer globalen Pandemie kommen würde. Dafür hat die kapitalistische Weltwirtschaft das Ökosystem der Erde in den letzten zwei Jahrhunderten zu stark verändert. Ihre Eingriffe in die Natur haben zahlreiche Krankheitserreger hervor- sowie in Umlauf gebracht und so zum Problem für die Menschheit gemacht. Für den schwedischen Humanökologen Andreas Malm ist die kapitalistische Ökonomie daher die »allgemeine Triebkraft« hinter der Entstehung immer neuer Viren und deren rasanter Verbreitung.

Es war daher nur die Frage, wann und wo eine weltweite Seuche ihren Ausgang nehmen würde. Im Wissen darum warnen Virologen und Epidemiologen seit Dekaden vor der Ausbreitung von Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen und umgekehrt übertragen werden (Zoonosen) und die gesamte Menschheit erfassen können. Das vermehrte Auftreten von SARS-, MERS-, Ebola- und Grippevarianten in den letzten zwei Jahrzehnten deutet auf einen Trend hin, der in der aktuellen Coronapandemie einen vorläufigen, voraussichtlich aber nicht den letzten Höhepunkt erreicht hat.

Die Protagonisten der kapitalistischen Naturzerstörung, die immer neue Gefahren für die menschliche Gesundheit hervorbringt, sind vor allem die oligopolistischen Agrar- und Fleischkonzerne. Ihre Produktion und Verteilung von Waren, so der US-amerikanische Biologe Robert Wallace, sind »perfekt organisiert, um die Evolution von Krankheitserregern und ihre anschließende Übertragung zu beschleunigen«. Wenn also das Gesellschaftssystem, in dem die Mehrheit der Menschen, Tiere und die Natur der Profitakkumulation untergeordnet sind, der allgemeine Treiber für Seuchen ist, ist das Agrobusiness der besondere – es ist ein Superspreader für Keime aller Art und Risikostufen.

Büchse der Pandora in der Wildnis

Die Geschichte von SARS-CoV-2 legt davon beredtes Zeugnis ab. Derzeitigen Erkenntnissen zufolge hat sich das neuartige Coronavirus seinen Weg aus chinesischen Wäldern auf einen Wildtiermarkt in der Stadt Wuhan gebahnt und dort Konsumenten wie Verkäufer infiziert. Seine ursprünglichen Wirte, wahrscheinlich Fledermäuse, werden auf solchen Märkten ebenso feilgeboten wie Schuppentiere, die im Verdacht stehen, als Zwischenwirte fungiert zu haben.

Dass Menschen vermehrt mit diesen Spezies in Kontakt gekommen sind und SARS-CoV-2 so der Sprung vom Tier zum Menschen gelingen konnte, hat vorrangig zwei Gründe. Erstens hat die Jagd auf Wildtiere zugenommen. Denn das Geschäft mit Wildfleisch ist in China bisher ziemlich rentabel gewesen. Zuletzt erarbeiteten in diesem Sektor rund 14 Millionen Chinesen einen Jahresumsatz von 74 Milliarden US-Dollar. Die Nachfrage nach Wildbret ist in jüngerer Vergangenheit vor allem unter Gutbetuchten gestiegen.

Die Virusverbreitung findet dann entlang der Ketten statt, über die Wildtiere und ihr Fleisch gehandelt werden. Tagelöhner, deren Verdienst geradeso für ihr Auskommen reicht, versorgen die Händler auf großen Märkten in Wuhan und anderen Metropolen der Welt mit den Luxuswaren. Die Krankheitserreger, denen die Kulis in aller Regel zuerst ausgesetzt sind, werden den Käufern exotischer Lebewesen unbeabsichtigt mitgeliefert. Legal und illegal gelangen die Tiere – und damit auch die Viren – so überall hin, beispielsweise nach Deutschland, einem der Hauptabsatzmärkte für Wildtiere aus aller Welt.

Zu den Gründen für die Übertragung von SARSCoV-2 von Tieren auf den Menschen gehören zweitens die stetig wachsende Erschließung und Inwertsetzung von Landflächen für die Massentierhaltung oder für den monokulturellen Anbau von Cash Crops und Futtermitteln. Weil zunehmend Urwälder gerodet werden, sind zum einen Wildtierjäger gezwungen, immer tiefer in die Wälder und zuvor geschlossene Ökosysteme vorzudringen. Die Wahrscheinlichkeit, sich auf diesem Wege mit einem seltenen Erreger zu infizieren und ihn dann unbeabsichtigt weiterzugeben, steigt enorm. Zum anderen führt die Zerstörung der Habitate von Fledermäusen, Schuppentieren und Co dazu, dass sich die Tiere nun dort herumtreiben, wo Menschen leben. Mit dem Vordringen von Agrar- und Fleischkonzernen in ihre Lebensräume verschwinden zudem die ökologischen Nischen und die Biodiversität, die Krankheitserreger natürlicherweise eindämmen.

Mit anderen Worten: Der Heißhunger nach Gewinnen veranlasst die Wildfleischproduzenten und Wildtierhändler – zwei kleinere Fraktionen des Fleischkapitals – sowie die großen Agrar- und Mastunternehmen, Boden und Tiere zu Waren zu machen. Dadurch öffnen sie die in den letzten Resten der Wildnis verborgene Büchse der Pandora immer weiter, in der nicht nur SARS-CoV-2 schlummerte. Alle neuen Epidemien der vergangenen Jahre sind auf ähnliche Weise entstanden. Robert Wallace geht deshalb davon aus, dass es derzeit keine »kapitalfreien« Krankheitserreger gibt – ihre Entstehung und Verbreitung ist überall auf die kapitalistische Ökonomie zurückzuführen.

Ein anderes Beispiel dafür ist das Ebolavirus, das 2014 im westafrikanischen Guinea auf Menschen übertragen wurde. Durch die extensive Waldrodung für den Plantagenbau im Zuge der Integration des Landes in den Weltmarkt als Palmöllieferant wurde dort der Kontakt zwischen Flughunden – einem wichtigen Ebolareservoir – und Menschen ausgeweitet. Das Ergebnis: Laut der Weltgesundheitsorganisation infizierten sich in Guinea, Liberia und Sierra Leone rund 28.000 Menschen, 11.000 starben. Die Dunkelziffern werden noch weitaus höher angesetzt.

Brutstätten der Pandemien

Während die pandemierelevante Inwertsetzung von Natur und Wildtieren durch Agrar- und Fleischkonzerne heute zumeist in der Peripherie stattfindet, leisten Unternehmen auch in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems ihren Beitrag dazu, dass Infektionskrankheiten viral gehen können. Wallace betrachtet etwa »die intensive Geflügel- und Viehwirtschaft« als den »Schmelztiegel, in dem viele der virulenten tierischen Krankheitserreger entstehen«. Auch der Umweltingenieur Drew Pendergrass und der Umwelthistoriker Troy Vettese gehen davon aus, dass die industrialisierte Tierhaltung am meisten dazu beigetragen hat, »uns ins Steinzeitalter der öffentlichen Gesundheit zurück zu befördern«.

Fleischbetriebe sind tatsächlich wahre Brutstätten von Pandemien. Für die Mast wurden die Gene der Tiere soweit manipuliert, dass diese ausschließlich einem bestimmten Zweck dienen, nämlich Eier zu legen oder Fleischmasse anzusetzen. Eine Frühform dieser Tierausbeutung – Genmanipulation durch Zucht – hat schon Karl Marx als »disgusting« (»ekelhaft«) bezeichnet. Heute weiß man, dass der Einsatz von Gentechnik die Tiere nicht nur verstümmelt. Er führt auch dazu, dass sie mittlerweile fast keine natürlichen Immunschranken mehr haben, sich also nahezu umgehend anstecken, sobald sich eines mit einer Krankheit infiziert hat. Das gilt insbesondere, wenn Tiere in riesigen Gruppen auf engstem Raum in einem, wie Marx sagt, »Zellengefängnißsystem« zusammengepfercht werden. Diese Haltungsbedingungen setzen sie derart unter Stress, dass ihr Immunsystem noch weiter geschwächt wird.

Auch der schnelle Durchlauf von Tieren in der Zucht, Haltung und Schlachtung ist ein fruchtbarer Boden für die Übertragung und Ausbreitung von Viren und anderen Erregern, weil es beständig neue Wirtstiere gibt. Hinzu kommt, dass das industrielle Schlachten die Virulenz steigert, also die Fähigkeit eines Erregers, einen Organismus zu besiedeln, und den Schaden, den er in diesem Wirtskörper anrichtet.

Ein weiterer, wesentlicher Weg der geografischen Verteilung zoonotischer Erkrankungen sind Tiertransporte. Dass die Tiere nicht nur in die Nähe anderer Tiere, sondern auch von Menschen befördert werden, versteht sich von selbst. Heute werden sie allerdings nicht mehr »nur« innerhalb einzelner Regionen, sondern auch international gehandelt. Lebewesen, die in Deutschland geschlachtet werden, stammen nicht zwingend auch von dort. Die globale Vernetzung und Verteilung des Fleischkapitals von der Zucht über die Haltung bis zur Schlachtung befeuert also die Infektion mit Erregern und die räumliche Ausdehnung von Seuchen. Auf diese Weise hat sich etwa die »Vogelgrippe« (H5N1) zu Beginn des Jahrhunderts ausgehend von Südostasien weltweit ausgebreitet.

Friedrich Engels hat vor dem Hintergrund ähnlicher, gleichwohl qualitativ und quantitativ weniger ausgeprägter Versuche, sich die Natur untertan zu machen, zu Recht davor gewarnt, diese werde sich für mutmaßliche »menschliche Siege« über sie »rächen«. Diesem Gedanken folgend kann man, wie es der Journalist Matthias Becker macht, »die evolutionäre Dynamik der Mikroorganismen und Zoonosen« als »Nemesis« der Fleischindustrie betrachten. Sie sind »eine Art lebendiger industrieller Schadstoff« (Wallace), den das Fleischkapital ebenso systematisch erzeugt wie CO2 oder die Zerstörung der Natur durch die Abholzung des Regenwalds und die Herabstufung der Tiere zu Produktionsmitteln. Die »Ätiologie der neuen Pandemien«, also die ursächlichen Entstehungszusammenhänge von Epidemien internationalen Ausmaßes, ist insofern, wie die Soziologen John Bellamy Foster und Intan Suwandi bemerken, Teil des »übergreifenden Problems der ökologischen Zerstörung durch den Kapitalismus«.

»Lösung« der Coronakrise à la Tönnies

Freilich juckt die Gesundheitsgefahr, die von Zoonosen ausgeht, Magnaten wie Clemens Tönnies, die Batista-Führungsclique des brasilianischen Fleischkonglomerats JBS oder ihre Kompagnons in den USA und China nur bedingt. Natürlich müssen sie Einbußen hinnehmen, wenn ein Erreger in einem ihrer Mast- und Schlachtbetriebe Tiere befällt. Ein Teil ihres produktiven Kapitals geht verloren, denn die erkrankten Tiere werden nicht medizinisch behandelt – das rentierte sich nicht –, sondern »gekeult«.

Die Ausbeutung von Arbeitern, Tieren und der Natur durch das internationale Fleischoligopol garantiert ausreichende Gewinne, selbst wenn einige infizierte Tierpopulationen nicht verarbeitet werden können. Außerdem bereinigen Seuchen die Märkte: Sie unterstützen den Konzentrationsprozess im Fleischsektor, der die Branchenriesen begünstigt, weil kleine Unternehmen die Verluste durch Keulung nicht kompensieren können, die großen hingegen schon. Die Kosten für die gesundheitlichen Folgeschäden bei Menschen werden, wie im Kapitalismus üblich, vergesellschaftet. Das heißt: Staaten und, infolge der zunehmend privatisierten und ökonomisierten Gesundheitsversorgung, hauptsächlich die Subalternen müssen für Gesundheitsschutz und Arztkosten aufkommen.

Das Paradebeispiel hierfür ist der Fall Tönnies. Deutschlands führender Fleischproduzent hat nicht nur Arbeits- und Wohnverhältnisse etabliert, die das Ansteckungsrisiko unter den Werkvertragsarbeitern extrem erhöhen. Er hat auch die Infektion von Menschen außerhalb seiner Fabriken in Kauf genommen, als er nach der Verbreitung von COVID-19 in der Republik mit dem Segen der Bundesregierung – »systemrelevant!« – weiter produzieren ließ und sich dadurch im Frühjahr 2020 über 2.000 Kollegen in seinem Stammwerk mit dem Virus infizierten. Der Dreistigkeit nicht genug, beantragte der milliardenschwere Unternehmer dann noch, dass der Staat für Lohnkosten aus der Zeit aufkommt, in der die Schlachtbänder stillstehen mussten. Schlussendlich hat er jede Haftung für den regionalen Ausbruch der Epidemie, dessen Hotspot sein Hauptsitz in Rheda-Wiedenbrück war, rundheraus zurückgewiesen.

Tönnies behauptet seinerseits, lediglich die unzureichende technische Ausstattung seiner Fleischbetriebe sei für deren Verwandlung in regionale Infektionsherde verantwortlich. In der Tat begünstigen besondere Belüftungs- und Kühlsysteme die Verbreitung der Viren. Aber diese Technologien sind weder Ursprung der Infektionen noch alleinige Ursache ihrer Ausbreitung.

Sozialökologische Probleme wie Pandemien ausschließlich auf unzureichende Technik zurückzuführen, ist Ausdruck eines bürgerlichen Ökomodernismus – also der Strategie, diese und andere Probleme in erster Linie durch die Entwicklung neuer Produktivkräfte beheben zu wollen. Diese setzt jedoch bloß den Status quo fort und ist damit das Gegenteil dessen, was nötig ist, um nicht nur sozial und speziesgerecht, sondern auch nachhaltig und gesund zu produzieren und zu leben. Wenn die Krankheits- und Infektionserreger dem Agrar- und Fleischkapital und seinen Kreisläufen entspringen, müssen sie auch dort bekämpft werden. Das geht nur, wenn die Nahrungsmittelproduktion und Landwirtschaft einer Konversion unterzogen und demokratischer Kontrolle unterstellt werden. Auch Gesundheitspolitik ist also Klassenkampf.

Christian Stache und Christin Bernhold

Ein Artikel aus unserer Zeitung “Das Fleischkapital”.