Gesehen. Gehört. Gelesen.

Fehlende Lehren

The Animal People (2019)
Regie: C. Suchan, D. Hennelly

Der von Casey Suchan und Denis Hennelly (von dem auch das Animal-Liberation-Drama »Bold Native« von 2010 stammt) produzierte Dokumentarfilm rekonstruiert ein wichtiges Kapitel aus der jüngeren Geschichte der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung: den Kampf gegen den größten europäischen Tierversuchskonzern Huntingdon Life Sciences (HLS).

Mithilfe zahlreicher Interviews und viel historischem Bild- und Tonmaterial zeichnen die Filmemacher ein klares Porträt des US-amerikanischen Ablegers der 1999 in England gegründeten internationalen Kampagne Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC). Aktivisten wie auch Vertreter der Gegenseite erzählen, wie die Kampagne zuerst beachtliche Erfolge feiern konnte, dann aber aufgrund politischer Repression, wie der Verhaftung und Verurteilung von sieben Campaignern, den SHAC 7, 2006 scheiterte.

Der sehenswerte Film liefert leider kaum Anhaltspunkte, welche Erkenntnisse die Bewegung aus der Niederlage ziehen kann. Jeglicher Widerstand gegen »das System« wird am Ende von zwei ehemaligen SHAC-Aktiven aus dem Off zu Bildern von Demos mannigfaltigen Formats und verschiedener Couleur mit viel Pathos begrüßt. Stattdessen wäre aber angezeigt gewesen, bei den Zweifeln einer anderen Aktivistin, Lauren Gazzola, anzusetzen. Sie stellt die entscheidende Frage nach der richtigen Strategie zur Bekämpfung der Tierausbeutung ins Zentrum, und ihr Resümee lautet: Die breite Mobilisierung, die SHAC angestrebt hatte, sei insgesamt gut gewesen. Aber um eine Firma wie HLS in die Knie zu zwingen, deren Form von Gewalt im Kapitalismus nichts Außergewöhnliches ist, hätte das eben nicht ausgereicht.

Stefanie Keller

-–

»Fleisch tötet«

Consolidated – Friendly Fascism
Nettwerk Records 1991

Gründlicher kann ein Popmusikprojekt die Geschichte kaum mehr gegen den Strich bürsten. Während der Kapitalismus mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus seinen triumphalsten Sieg einfuhr und nahezu die gesamte westliche Kulturwelt vor der neoliberalen Agenda und deren repressiven Individualismus in die Knie ging, huldigte das 1988 gegründete Industrial-HipHop-Trio aus San Francisco dem Kollektiv. Als seine Mitglieder ein Jahr später in Politkommissar-Uniformen via Megafon zum »Krieg gegen die Ungleichheit« aufriefen, hagelte es vor allem aus den Autonomen-Szenen dumme Totalitarismusvorwürfe. Dennoch konnten sie mit ihrem Debütalbum »Friendly Fascism« einen beachtlichen Erfolg im linken Milieu einfahren. Nicht zuletzt, weil ihr peitschender Agitprop-Sound, ihre treibenden Beats, ausgeklügelten Samples, intellektuellen Lyrics und eindringlichen DokufilmCollagen aus Schreckensbildern von Schlachtungen, Gewaltpornografie und Kriegsgräuel, die erschütternde Wahrheiten über die hochgradige Verdinglichung von Mensch und Natur freilegten, von einer Ästhetik des produktiven Hasses auf die mörderischen Verhältnisse getragen waren. Als historisches Verdienst muss ihnen angerechnet werden, dass sie (wenn auch partiell noch dem scheinradikalen linksliberalen Intersektionalismus verhaftet) mit Songs wie »Meat Kills« die Fleischindustrie als tragende Säule der zunehmend dystopischen Warengesellschaft begriffen und als kulturelle Avantgarde der marxistischen Tierbefreiungsbewegung und des Ökosozialismus gewirkt haben. Nur konsequent, dass sie im Frühsommer 2020 angesichts der anwachsenden Massenproteste in den USA ihre Reunion beschlossen haben.

Susann Witt-Stahl

-–

Ein Schritt vorwärts

Chokehold – Instilled
Bloodlink Records 1994

Im US-amerikanischen Hardcore-Punk der 1980er und 1990er-Jahre erfreute sich der Straight-Edge-Lebensstil einer großen Popularität. Der offensive Verzicht auf Drogen griff konsumkritische Standpunkte auf, die es bereits in der Punkszene gab. In der Kritik stand auch der Konsum von Tierprodukten, dem ein Plädoyer für eine vegane – oder zumindest vegetarische – Lebensweise entgegengesetzt wurde. Viele StraightEdge-Bands kamen über moralische Appelle jedoch nicht hinaus. Größen wie Earth Crisis oder Vegan Reich entwickelten teilweise fundamentalistische Züge, die jegliche progressiven Ansätze wieder im kleinbürgerlichen Sumpf versenkten.

Erfreulicherweise gab es auch andere Bands. Der kanadischen Formation Chokehold gelang auf ihrer dritten EP »Instilled«, die sich musikalisch am damals aufkommenden, sehr harten Stil des Hardcores orientierte, ein Schritt nach vorn. In dem Song »Burning Bridges« macht die Band eindeutig die Fleischindustrie als Verantwortlichen für den massenhaften Tiermord aus. Statt Fleisch konsumierende Menschen zu attackieren, gelte es, gegen diejenigen »aktiv zu werden, welche die Industrie kontrollieren«. Ein wichtiger Schritt über individualistische Ansätze hinaus. Mit ihrer These, dass gegen das Fleischkapital gutes Zureden nicht ausreichen würde, sondern möglicherweise auch Militanz nötig sei, nahmen Chokehold ebenfalls auf eine Debatte der Tierrechtsbewegung Bezug, die bis heute andauert. Diese visionären und radikalen Elemente machen die EP zu einem Meilenstein des linken Flügels des Genres.

David Müller

-–

Zurück zu den Wurzeln

Albino – Boom Bap. Revolution. One
Art 4 Real 2020

Mit Hip-Hop als Gegenkultur ist das ja heute so eine Sache. Zwar kommen im Rap-Mainstream ohne Zweifel Angehörige der Arbeiterklasse zu Wort. Weil es denen aber oft nur noch um Autos, Drogen oder neoliberales Dominanzgehabe geht, ist er trotz aller rebellischen Posen in der Regel völlig kapitalismuskonform. Linker Politrap wiederum richtet sich oft nur an die eigene Filterblase, bleibt parolenhaft und lebensfern – subkulturelle Selbstbestätigung statt Gesellschaftskritik.

Dass es anders geht, zeigt Albino – nunmehr seit mehr als 20 Jahren aktiv – mit seinem sechsten Soloalbum: Er erinnert an die revolutionären Traditionslinien des Hip-Hops und setzt ein starkes künstlerisches und politisches Zeichen gegen den reaktionären Zeitgeist im bürgerlichen Establishment und in der Rapszene gleichermaßen. Der Titel der Platte ist Programm: Zu klassischen Boom-Bap-Beats mischt der bekennende Antikapitalist Kritik am kommerziellen Rap (»Be Real«) mit Selbstreflexion (»Wanderung«) und revolutionären Statements, zum Beispiel für die Befreiung der Natur (»Naturwesen«), gegen Kriegspolitik und die Ausgrenzung jüdischer Linker (»Treibjagd«). Das aber nicht mit einem im schlechten Sinne agitatorischen Gestus, der Umsturz und Offensive propagiert, wo beides aber gerade schlichtweg nicht ansteht, sondern mit einer introspektiven und nachdenklichen Atmosphäre, die gerade deshalb umso mehr überzeugt. Die Samples von Zitaten marxistischer Intellektueller und Rapsongs aus besseren Zeiten runden das Album zu einem starken Statement ab, das Kraft gibt und zeigt: Es gibt noch echte Rap-Gegenkultur.

Micha Hoffmann

-–

Das Unrecht benennen

Conflict – To a Nation of Animal Lovers
Corpus Christi Records 1983

Kaum eine Subkultur hat sich so konsequent gegen das Bestehende gestellt wie der frühe politische Punk aus Großbritannien. Die Weigerung, sich mit gesellschaftlich produziertem Leid abzufinden, manifestierte sich etwa in Songtexten und unkonventionellem Musikstil.

Als eindrücklichstes Beispiel dieser künstlerischen Haltung gilt die im Jahr 1983 erschienene EP »To a Nation of Animal Lovers« von Conflict, die eine schonungslose Kritik der Tierausbeutung zu Zwecken der Medizin, Fleischproduktion und Unterhaltung formuliert. Ihre eigene einflussreiche Prägung des Hardcore-Punks war auf der Platte bereits erkennbar. Das Tempo des etablierten Punks wurde gesteigert, seine minimalistische Instrumentierung jedoch beibehalten. In den Songs wechseln sich politische Rede und treibender Gesang laufend ab. Das Booklet verweist auf diverse Tierrechtsorganisationen und auf die Animal Liberation Front.

Beeindruckend an dem Album ist, wie prägnant die Texte das Unrecht benennen. Es war völlig klar: Die Ausbeutung der Tiere geschieht im Interesse der herrschenden Klasse, deshalb muss diese angegriffen werden. Den Klassencharakter der Tierausbeutung, die mit der Ausbeutung des Menschen einhergeht, haben Conflict im reichen Aristokratenpaar des ersten Stücks »Berkshire Cunt« versinnbildlicht. Dessen »Wohlstand« sei »durch Mord ermöglicht« – nicht nur an den Tieren, die über den Haufen geschossen werden, sondern auch an den Soldaten niederen Ranges, die in den imperialistischen Kriegen des Kapitals verheizt werden.

David Müller

-–

Menschenfleisch

Agustina Bazterrica – Wie die Schweine
Suhrkamp Verlag 2020

Die argentinische Autorin entwirft in ihrem fesselnden Roman ein provokantes Szenario. In ihrer Welt der Zukunft gibt es so gut wie keine Tiere mehr. Sie wurden in einer Phase des »Übergangs« schlicht ausgerottet, weil sie angeblich einen Virus verbreitetet hatten, der für Menschen tödlich ist. Als wäre das nicht schon schlimm genug, haben unter dem »Druck einer milliardenschweren Industrie« und einer »massiven Nachfrage« Menschen den Platz in der Fleischproduktion eingenommen, den zuvor Tiere innehatten.

Die Leser begleiten Marcos Tejo, Geschäftsführer eines Schlachtbetriebs und Hauptfigur der Erzählung, auf seinen Wegen durch das Netzwerk dieser kannibalistischen Menschenausbeutung, die in direkter Linie zur heutigen »Tiernutzung« steht. Von der Aufzucht sogenannter Stücke über die Schlachtung und Zerlegung des »Spezialfleischs« bis zu Menschenversuchen – Bazterrica lässt nichts aus. In einer der kalten Systematik und Normalität der realen Fleischherstellung adäquaten nüchternen und schlichten Sprache schildert sie das ganze Grauen, vor dem auch die Artenzugehörigkeit niemanden mehr bewahrt.

Allerdings: So aufklärerisch der fiktive Rollentausch und die Analogie von Mensch und Tier sind. Die Geschichte ist ein wenig an der Differentia specifica kapitalistischer Tierausbeutung vorbeigeschrieben. Denn diese beruht ja unter anderem darauf, dass das Kapital Tiere als Eigentum behandeln kann – und das aufgrund einer Differenz, die es in dieser Form zwischen Menschen, die zumindest formal die Möglichkeit haben, Lohnarbeiter und Bürger zu sein, nicht gibt.

Christian Stache

Rezensionen aus unserer Zeitung “Das Fleischkapital”.