Die Coronakrise hat es einmal mehr gezeigt: Die Fleischindustrie ist ein Eldorado für die skrupellosesten Ausbeuter des modernen Kapitalismus. Ihre Bosse lassen Lohnabhängige für Hungerlöhne schuften, Tiere abschlachten und natürliche Lebensgrundlagen zerstören – für den Profit wird alles ohne Rücksicht auf Verluste verheizt. Mit Auswirkungen, die längst auch für die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Planeten und sein Ökosystem eine ernsthafte Bedrohung darstellen.
Zig Milliarden Tiere werden weltweit pro Jahr unter furchtbarsten Bedingungen gehalten, gemästet und getötet. Die Fleischindustrie und die mit ihr kooperierenden Agrarkonzerne holzen Regenwälder für Weideflächen und Tierfutteranbau ab, blasen massenhaft Treibhausgase in die Atmosphäre und zerstören Existenzgrundlagen von Lohnabhängigen und Bauern in den Ländern der Peripherie – sie sitzen vor allem im »Zentrum des imperialistischen Weltsystems«, wie es in einem Beitrag dieser Zeitung heißt. Global verbreiten sich mittlerweile auch die Krankheiten, welche die Fleischkapitalisten uns einbrocken: Zwei unserer Autoren zeigen in einem kurzen Essay etwa, dass die industrielle Tierzucht, der Handel mit Wildtieren und die Schlachtfabriken mitverantwortlich für die Entstehung und Ausbreitung von Krankheitserregern wie SARS-CoV-2 und Pandemien sind. Darüber hinaus trägt der Antibiotika-Einsatz in der Mast dazu bei, dass Menschen wieder an heilbaren Krankheiten sterben müssen.
Die Arbeiterklasse wird in der Industrie brutal ausgenommen: In der Bundesrepublik werden überwiegend migrantische Kollegen in der Fleischverarbeitung systematisch (über-)ausgebeutet – von Gesundheitsschutz oder Mitbestimmung fehlt hier meist jede Spur, wie uns zwei ehemalige Schlacht-
arbeiter berichten, die wir in einem ausführlichen Interview zu Wort kommen lassen. Aber auch Lohnabhängige werden in die Propagandamaschine des Mordgeschäfts eingebunden: Mit riesigen Werbekampagnen zur Verbreitung einer karnivoren Lebensweise, auf die manche sogar ihre ganze Identität gründen, sichern sich seine Bosse eine politische und kulturelle »Fleischhegemonie« – selbst weite Teile der Linken glauben, das Proletariat brauche Grützwurst und Schinkenspeck wie die Luft zum Atmen.
Wie ein Brennglas zeigt die Fleischindustrie also die Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse eines Systems auf, in dem Arbeiter, Tiere und Natur bloß Mittel der Profitmaximierung sind.
Es besteht daher kein Zweifel, dass die Umwälzung dieser lebensfeindlichen Verhältnisse notwendig ist. Die Frage ist allerdings, wo wir dabei ansetzen müssen: Denn es sind eben nicht »die Menschen« oder »wir alle«, wie es in den Medien und auch Teilen der Vegan- oder Tierbefreiungsbewegung immer wieder heißt, die für die Ausbeutungsbeziehungen der Fleischindustrie verantwortlich sind und von ihnen profitieren. Schließlich dürfen die allermeisten Menschen ja nicht darüber verfügen, was und zu welchen Bedingungen die Unternehmen produzieren – es ist aber vor allem die Produktion von Fleisch, und nicht erst dessen Konsum, welche die genannten Verheerungen verursacht. Die Entscheidungsmacht über die Produktion liegt nicht bei den Konsumenten, sondern bei jenen Teilen der herrschenden Klasse, die mit der Aufzucht und Mast, Tötung und Verarbeitung von Tieren oder mit deren Handel Gewinne machen – dem Fleischkapital. In Deutschland steht hier eine hochgradig monopolisierte Struktur weniger Konzerne an der Spitze – Tönnies, Vion, Westfleisch, die PHW-Gruppe –, die in der Branche den Ton angeben, in der Schweiz sind es vor allem die Bell Food Group und Micarna. Dieser Maschinerie und ihrem schonungslosen Verschleiß der Natur, Tiere und Arbeiter widmet sich die Zeitung, die Sie in den Händen halten.
Doch bei so viel kritischer Analyse soll der Widerstand nicht unreflektiert bleiben: Interviews mit Kommunisten aus Deutschland und Brasilien zeigen, wie der Kampf gegen Naturzerstörung und die Fleischindustrie aussieht und aussehen kann. Zugleich beschäftigen sich unsere Autoren mit der Frage, ob technologische Innovationen wie In-vitro-Fleisch, neue Tierschutzpolitiken oder franchiseartig organisierte Proteste im Stile der neuen Tierrechtsorganisation Anonymous for the Voiceless einen Ausweg aus den Verwerfungen des Fleischkapitals bieten.
Und weil politische und kulturelle Opposition Hand in Hand gehen, widmen wir uns in einem ausführlichen Kulturteil schlussendlich auch der Kunst: Der israelische Soziologe und Historiker Moshe Zuckermann etwa interpretiert für uns das Gedicht »Ode an die Revolution« von Wladimir Majakowski, und Susann Witt-Stahl, Chefredakteurin des Magazins für Gegenkultur Melodie & Rhythmus stellt theoretische Überlegungen zu revolutionärer Kultur an. Außerdem finden sich in dieser Zeitung Rezensionen von Filmen, Musikalben und Büchern, die sich kritisch mit der Fleischindustrie und Schlachthofgesellschaft auseinandersetzen.
Wir machen uns keine Illusionen: Das Fleischkapital und seine Lobby – das haben nicht zuletzt die Verhandlungen über das »Arbeitsschutzkontrollgesetz« im Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr gezeigt –, sind ein übermächtiger Gegner, und man schlägt ihn nicht allein durch die Publikation von Zeitungen und Artikeln. Es bedarf der Organisation politischer Macht für den Klassenkampf. Doch so ein Projekt braucht eine Agenda und die Verständigung derer, die daran ein Interesse haben – oder haben sollten. Dazu wollen wir einen kleinen Beitrag leisten und neue Impulse für einen gemeinsamen durchschlagenden Widerstand geben: Unsere Zeitung soll soziale Bewegungen, Gewerkschafts- und Betriebsaktive, Kommunisten und Sozialisten ebenso wie die Tierbefreiungs-, Ökologie- und Klimabewegung anregen, sich gegen das Fleischkapital und für ein wirklich revolutionäres und zivilisatorisches Projekt zusammenzutun: die Enteignung und Konversion der Fleischindustrie hin zu veganer, ökologisch nachhaltiger und demokratisch kontrollierter Produktion. So eine Allianz liegt gegenwärtig noch in weiter Ferne. Sie muss aber heute geschmiedet werden, damit morgen eine versöhnte und vernünftig eingerichtete Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Naturzerstörung Wirklichkeit werden kann.
Wir bedanken uns bei allen, die unser Zeitungsprojekt durch Spenden und andere Beiträge möglich gemacht haben und wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre!
Bündnis Marxismus und Tierbefreiung
März 2021