11.7.2024

»Tiere werden nicht ausgebeutet«

In seinem Hauptwerk »Das Kapital« bestimmt Marx »Ausbeutung« als die Aneignung des von menschlichen Lohnabhängigen produzierten Mehrwerts durch Kapitalisten. Tiere sind keine Lohnarbeiter und produzieren keinen Mehrwert. Kann man dementsprechend überhaupt von »Tierausbeutung« sprechen?

Natürlich! Marx benutzt den Begriff der »Ausbeutung« beziehungsweise »Exploitation« auf unterschiedliche Weisen. Mit ihm prangert er etwa besonders brutale ökonomische Verhältnisse politisch-moralisch an. Er bezeichnet mit dem Begriff auch Beziehungen zwischen Gruppen von Kapitalisten. Gesellschaften mit einer kapitalistischen Produktionsweise attestiert er sogar eine »planmäßige Ausbeutung der Erde« (MEW 23: 791). Mit anderen Worten: Marx reduziert in seinem gesamten Werk »Ausbeutung« nicht auf die Aneignung des Mehrwerts, der von menschlichen Lohnarbeitern in der ökonomischen Produktion geschaffen wird, durch Unternehmer.

Für uns ist beim Gebrauch des Begriffs Tierausbeutung entscheidend, dass Tiere in bürgerlichen Gesellschaften in der Ökonomie zur Warenproduktion und Akkumulation von Kapital genutzt werden, zum Beispiel zur Herstellung von Fleisch, Milch oder Forschungsergebnissen. »Ausbeutung« bezeichnet hier die für die kapitalistische Produktionsweise besondere Form der Aneignung der Arbeit, Körper und Leben tierlicher Individuen durch profitorientiert arbeitende Unternehmen.

Die »Tierausbeutung« unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von der Ausbeutung des Proletariats. Diese beruht auf dem Verhältnis zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern. Tiere sind, anders als lohnabhängig beschäftigte Menschen, nicht politisch »frei«, sie verkaufen nicht ihre Arbeitskraft als Ware auf dem Markt. Ihre Arbeit ist dementsprechend auch keine wertschaffende Arbeit. Tiere sind vielmehr als Produktionsmittel Privateigentum der Kapitalisten.

Wir sprechen außerdem von ökonomischer »Ausbeutung« der Tiere durch das Kapital in Abgrenzung zur politischen »Herrschaft« über die Tiere durch direkte Gewalt und durch »zivile«, politisch-kulturelle Mittel (Recht, Normen, Ideen usw.). Erstere ist die Basis letzterer. Kapitalisten lassen Tieren, zum Beispiel in der Fleischproduktion, Gewalt antun, nicht vorrangig, weil Tiere Tiere sind oder weil Leute wie Tönnies gern über Tiere Macht ausüben wollen, sondern weil die Gewalt zur profitbringenden Fleischproduktion benötigt wird.

Wir beabsichtigen mit der Verwendung des Ausbeutungsbegriffs weder, den klassischen zu erweitern oder aufzugeben, noch, die verschiedenen Formen der Ausbeutung miteinander zu vermengen. Vielmehr geht es darum, sie klar zu definieren, voneinander zu unterscheiden und ihr Zusammenwirken begreifen zu können. Auf Basis einer solchen Theorie der Ausbeutung ist auch klar, dass das Subjekt der Befreiung (die menschliche Arbeiterklasse) nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Objekte der Befreiung (vor allem Natur und Tiere) kämpfen muss.