Wann wird die Vogelgrippe zur Pandemie?

Mit der Vogelgrippe hat die Tierindustrie die größte Infektionswelle aller Zeiten verursacht und Voraussetzungen für eine neue Pandemie geschaffen

Vor allem in den sogenannten Schwellenländern fand in den letzten Jahrzehnten ein kolossaler und noch nicht abgeschlossener Siegeszug des Fleischkapitals statt. Die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zusammengestellten Zahlen werfen ein grelles Licht auf die Entwicklung: Zwischen 1965 und 2020 steigerte sich die globale Fleischproduktion von 84 auf 340 Millionen Tonnen, bis 2050 soll sie weiter zunehmen auf 455 Millionen Tonnen.[1] In seinem Buch »Big Farms Make Big Flu« konnte Rob Wallace, der sich als Initiator der »politischen Virologie« versteht, schon 2016 nachweisen: Wenige multinationale Konzerne steuern diesen Prozess, der auch einen Export der Technologie kapitalintensiver Fleischproduktion beinhaltet. Zudem konnte Wallace alle relevanten Ausbrüche von Zoonosen sowohl zeitlich als auch örtlich mit der Expansion des Fleischkapitals in Verbindung bringen und diese damit als Hauptursache der zunehmenden Pandemiegefahr identifizieren.[2]

Neue Qualitäten 2023

Das Oldenburger Münsterland ist das Gebiet der niedersächsischen Landkreise Cloppenburg und Vechta. Es weist die in Deutschland größte Dichte an Massentierhaltungen der Geflügel-, Schweine- und Rinderzucht auf und wird deshalb auch als »Schweinegürtel« bezeichnet. Die Branchenzeitschrift agrarheute widmet sich seit langem der Sisyphus-Arbeit, Vogelgrippe-Ausbrüche zusammenzutragen. Vechta und Cloppenburg sind zwei Ortsnamen, die hier immer wieder und mit besonders hohen Todeszahlen in Erscheinung treten. Mitte August 2022 kam es innerhalb einer Woche zu zwei Keulungen im sechsstelligen Bereich: Zuerst wurde die Tötung von 110.000 Legehennen in Dinklage im Landkreis Vechta gemeldet, dann starben 200.000 Legehennen in Vechta selbst. Das Jahr 2023 begann so, wie das vorhergehende geendet hatte: am 3. Januar ein Ausbruch in einem Putenmastbetrieb in Garrel im Landkreis Cloppenburg mit 14.500 Tieren sowie ebenfalls in Garrel ein Ausbruch in einem Betrieb mit 8.100 Puten. Beide Bestände wurden vorschriftsgemäß vollständig getötet. Im selben Landkreis waren erst im September 2022 knapp 40.000 Puten wegen der Vogelgrippe getötet worden. Aber auch außerhalb von Schweinegürteln häufen sich die Ausbrüche in fast allen Bundesländern.

Die Infektions- und Todeszahlen, die geographische Ausbreitung und die Anzahl der Artensprünge brechen fortlaufend Rekorde. Die neueste beunruhigende Nachricht: Mitte Juli wurde in Polen ein Vogelgrippe-Ausbruch unter Katzen beobachtet. In Genf kommentierte Wenqing Zhang, die Leiterin des Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Ausbruch sei eine weitere Warnung, dass das Vogelgrippevirus die nächste Pandemie auslösen könnte.

Wie es anfing

Das jetzt kursierende und weltweit dominierende Vogelgrippe-Virus H5N1 wurde erstmals 1996 auf einer Gänsefarm in der chinesischen Provinz Guangdong nachgewiesen. In einer Gegend, in der auch sogenannte Wildvögel ihre Brut- und Rastplätze haben, hatten amerikanische Ingenieure damit begonnen, riesige Geflügelfarmen zu erbauen. Schon im Jahr darauf infizierte das Virus in Hongkong während eines großen Ausbruchs in einer Geflügelfarm auch Menschen. Dabei kam es zu Todesfällen. Damit wurde das Pandemiepotenzial des Virus erkennbar und löste große Besorgnis in der lokalen Bevölkerung und global in der Fachwelt aus. Spätestens seit dem Jahr 1997 kann somit gesagt werden, dass das internationale Fleischkapital durch und für seine wahnwitzig expandierenden Fleischfabriken bewusst das Leben von Millionen Menschen und anderen Tieren gefährdet.

Seitdem wurden bei hoher Dunkelziffer etwa 3.000 Erkrankungsfälle beim Menschen erfasst, etwa 1.000 davon durch H5N1, mit einer Todesrate von jeweils mehr als 50 Prozent. Um das Jahr 2005 griff das Virus auf Zugvögel über. Den Wegen der Warentransporte und dem Zug der Vögel folgend verbreitete sich das Virus seitdem in der Welt. Die meisten Forschenden gehen inzwischen davon aus, dass es seit den 1990er-Jahren zwischen freilebenden und in Massenhaltungen gefangenen Vögeln hin und her springt und dabei zunehmend gefährlicher wird.

Die Bedingungen für die Entstehung neuer, gefährlicherer Varianten sind in der Massentierhaltung um Potenzen günstiger als in freier Wildbahn: Riesige Zahlen gestresster und geschwächter Tiere sind hier auf engem Raum zusammengesperrt. Genetische Diversität würde die Ausbreitung von Infektionen bremsen, aber diese Tiere sind genetisch weitgehend identisch und infolge der Hybridzucht haben sie zudem von vornherein ein schwächeres Immunsystem. Die Folge: Ist ein Tier infiziert, sind nach wenigen Tagen auch fast alle anderen gestorben. Derart hohe Todesraten kommen seit drei Jahren gehäuft auch in freier Wildbahn vor, vor allem in Brutkolonien. Seit dem Ende der 1990er-Jahre ist die Vogelgrippe auf mindestens 100 weitere Vogelarten übergesprungen, das Massensterben unter sogenannten Wildvögeln hat sich zu einer enormen Bedrohung der Artenvielfalt ausgewachsen. Der aktuelle, im Oktober 2021 ausgebrochene Seuchenzug wird von der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) als die größte Infektionswelle bezeichnet, die je auf der Erde stattgefunden hat. Noch gibt es keine verlässlichen Angaben zur Anzahl der getöteten Tiere, sie liegt aber mit Sicherheit im dreistelligen Millionenbereich. Nach Angaben der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC wurden bereits während des ersten Seuchenjahres 2021/22 allein in Europa 48 Millionen Vögel »gekeult«.[3]

Die Superkraft des H5N1

Vogelgrippe-Viren haben mit anderen besonders gefährlichen Viren wie zum Beispiel den Ebola-, Lassa-, Schweinegrippe- und Coronaviren gemeinsam, dass sie RNA-Viren sind, die etwa eine Million Mal schneller mutieren können als DNA-Viren und die ganze Genabschnitte mit anderen Viren austauschen können. Wird ein Tier von mehreren Viren besiedelt, wird dieses Tier zum sogenannten Mischgefäß, in dem sich neue, gefährlichere Varianten entwickeln können. Aktuell geht eine Befürchtung dahin, dass Schweine zu solchen Mischgefäßen werden.[4]

Aufgrund ihrer biologischen Nähe zum Menschen, vor allem, was das Abwehrsystem betrifft, wäre das Risiko enorm erhöht, dass sich Viren entwickeln, die nicht nur auf Menschen, sondern auch von Mensch zu Mensch überspringen können.

Eine neue H5N1-Variante namens 2.3.4.4b verbreitete sich ab 2020 schneller und weiter als alle Vorgänger. Sie scheint besser an alle Vogelarten angepasst zu sein als ihre Vorgänger, und springt leichter auf Säugetiere über. Sie hat bereits jeweils etwa 50 Millionen Vögel in Europa und Nordamerika getötet und tauchte im Herbst 2022 in Mittel- und Südamerika auf. In Ecuador wurde 2022 aufgrund der Vogelgrippe der Notstand ausgerufen, im September 2023 breitet sich das Virus auf den rund tausend Kilometer westlich der südamerikanischen Küste gelegenen und zu Ecuador gehörenden Galapagos-Inseln aus. Diese beherbergen knapp 80 einheimische Vogelarten. Wegen ihrer besonders vielfältigen Flora und Fauna gehören die Inseln zum Unesco-Weltnaturerbe. In nur drei Monaten breitete H5N1 sich von Kolumbien bis in den südlichsten Zipfel Argentiniens aus, von dort wird nun ein Übersprung auf die Antarktis befürchtet.[5] Die möglichen Folgen sind verheerend, denn dort leben mehr als 100 Millionen Vögel und verschiedene Meeressäugerarten, die noch keinerlei Immunabwehr gegen das Virus bilden konnten. Viele Tierarten bilden große Kolonien, wodurch extrem hohe Opferzahlen und der Zusammenbruch ganzer Populationen wahrscheinlich werden.

Wenn ein pandemiepotentes Virus zu den Menschen finden möchte, hat es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Es bahnt sich seinen Weg über neu entstandene Viren aus der Massentierhaltung oder aber über schon länger existierende Viren aus unberührten Wäldern. Beide Wege sind nicht unabhängig voneinander. Zum einen ist die Gewinnung von Futteranbau- und Weideflächen im Dienste der Fleischindustrie der Haupttreiber der Entwaldung in Afrika, in Asien und vor allem in Lateinamerika. Zum zweiten ist der durch die Entwaldung gepushte Wildtierhandel inzwischen ein hochindustrialisierter Zweig des Fleischkapitals mit Milliardenumsätzen. Und zum dritten wird die Massenhaltung sogenannter Wildtiere zu einem unkalkulierbaren Risiko bei der Auslösung und der Ausbreitung von Pandemien. Hier geht es vor allem um Nerze, Füchse und Marderhunde.

Pelztiere und die Vogelgrippe

Ein Blick auf das Covid-19-Geschehen kann sehr hilfreich sein, um die Pandemiegefahr der Vogelgrippeviren zu beurteilen. Die derzeit favorisierte und durch aktuelle chinesische Studien bestärkte Erklärung für die Entstehung der Covid-19-Pandemie ist die Marderhund-Hypothese. Marderhunde sind nicht-domestizierte, mit Füchsen verwandte Caniden, die wegen ihres flauschigen Fells auch in Europa in Massen gehalten werden und die sich - so viel steht fest – mit dem Coronavirus infizieren und es auf Menschen übertragen können.

Im ersten Corona-Jahr fielen Millionen Nerze der kapitalgemachten Seuche zum Opfer. Im Herbst 2020 wurden in den Niederlanden in allen etwa 160 Nerzzuchten sämtliche Tiere getötet. Die Anzahl der getöteten Tiere wurde nicht veröffentlicht. 2020/21 wurden in Dänemark 17 Millionen Nerze getötet. Einige waren von Menschen mit Covid-19 infiziert worden und gaben das Virus anschließend wieder an Menschen weiter. Wie die Vogelgrippe zwischen freilebenden und gefangen gehaltenen Vögeln, so sprang jetzt auch das Covid-19-Virus zwischen freien und Säugetieren in Gefangenschaft hin und her. Unter den Nerzen kam es nach kurzer Zeit zu Mutationen. Jeder zweite humane Covid-19-Fall im nördlichen Dänemark stand mit Nerzfarmen in Zusammenhang. In beiden Ländern wurde die Nerztierzucht verboten, in Dänemark ist sie aber seit diesem Jahr wieder erlaubt.

Im Oktober 2022 brach auch die Vogelgrippe H5N1 auf einer Nerzfarm im nordwestspanischen Galizien aus. Dieser Ausbruch ist ein Gamechanger, denn er gilt als die erste dokumentierte Übertragung innerhalb einer Säugetierpopulation. Das bedeutet, dass H5N1 auf seinem Weg zur Pandemie einen großen Satz nach vorne gemacht hat. Nur selten wird das Leid der Tiere bei dieser Erkrankung erwähnt oder gar geschildert. Die Pharmazeutische Zeitung aber beschreibt anlässlich des Ausbruchs auf der Nerzfarm die grausamen Symptome und liefert damit auch eine Vorstellung dessen, was auf die Menschheit zukommen könnte: »Erkrankte Tiere zeigten Appetitlosigkeit, übermäßigen Speichelfluss, depressive Symptome, Blutungen an der Schnauze und neurologische Symptome wie Zittern und Störungen der Bewegungskoordination. In Post-mortem-Analysen war eine hämorrhagische Pneumonie [blutige Lungenentzündung, M.K.] in den Lungen der Nerze zu erkennen. In einigen schwer befallenen Ställen der Farm starben alle Tiere innerhalb von ein bis zwei Tagen.«[6] Bei anderen Säugetieren sowie bei Vögeln sind die Symptome sehr ähnlich.

Anfang August wurden in drei finnischen Pelztierfarmen wegen Vogelgrippe-Infektionen 30.000 Nerze und 40.000 Füchse getötet, die Zahl wird vermutlich noch steigen. Die oberen Atemwege der Tiere enthielten Rezeptoren, die sowohl Vogelgrippe- als auch menschliche Grippeviren binden könnten, erläuterten die Behörden. Dies mache sie anfällig für beide Infektionen. Schon lange ist bekannt, dass vor allem Nerze wirkungsvollere Zwischenwirte als andere Säugetiere sein können, Mutationen, die auch Menschen infizieren können, sind bei ihnen besonders wahrscheinlich. Die Pelztierhaltung ist ein weiteres beklemmendes Beispiel dafür, wie die Tierindustrie eine Art Russisch Roulette spielt, bei der der Spieler den Revolver nicht gegen die eigene Schläfe hält, sondern skrupellos das Leben von Millionen Menschen und anderen Tieren opfert beziehungsweise aufs Spiel setzt. Weil den finnischen Pelztierzüchtern, wie vorher bereits den niederländischen und dänischen, auch noch Entschädigungen für die Massentötungen bezahlt werden, müssen sie nicht einmal finanzielle Risiken selbst tragen.

Es bleibt anzumerken, dass die Behandlung der Vogelgrippe bei Menschen dann gewisse Erfolgsaussichten hat, wenn umgehend antivirale Medikamente gegeben werden. Das bedeutet wiederum, dass nur diejenigen gute Überlebenschancen haben, denen sehr gute Gesundheitssysteme zur Verfügung stehen, die die Medikamente auch ausreichend vorrätig haben. Die größten Risiken tragen die Beschäftigten der Fleischindustrie und ihre Familien. In den Mastanlagen und Schlachthöfen, aber auch beim Fleischtransport und in den Laboren ist die Infektionsgefahr am größten und trifft zudem auf geschwächte Immunsysteme aufgrund der durchweg katastrophalen Arbeitsbedingungen. Was sich bei der Covid-19-Pandemie rasch herausstellte, wird auch bei einer Vogelgrippe-Pandemie der Fall sein: Armut ist das größte Gesundheitsrisiko.

Was tun?

Wahrscheinlich ist es der Vogelgrippe-Ausbruch in der galizischen Nerzfarm, der die Tonlage der Diskussion um die Pandemiegefahr transponiert hat. Die tatsächlichen Dimensionen des Geschehens können nicht endlos verborgen oder verniedlicht werden. Wir haben es zu tun mit der größten Infektionswelle der Geschichte, die sich mit Ausnahme von Australien und der Antarktis auf alle Kontinente ausgebreitet hat – mit einem Virus, das für Vögel das ansteckendste aller Zeiten ist, das immer leichter Artengrenzen überspringt und dessen Mortalität je nach Spezies bis zu 100 Prozent erreicht und auch bei Säugetieren meist über 50 Prozent liegt. Zum Vergleich: Bei Covid-19 liegt die Todesrate bei etwa einem Prozent, nach WHO-Schätzung sind bisher 11 bis 17 Millionen Menschen gestorben. Bei der H1N1-Grippe von 1918 lag die Todesrate bei durchschnittlich zwei Prozent, es starben 50 bis 100 Millionen Menschen.

Wenn wir den Virologen, zum Beispiel des Robert Koch-Instituts (RKI), glauben können, hat sich das Virus noch nicht so entwickelt, dass eine Pandemie unmittelbar vor der Tür steht.[7] Aber – darin sind sich Forschende und zuständige Institutionen mittlerweile einig – sie kommt immer näher, wird immer wahrscheinlicher. Von verschiedenen Seiten wird nun dazu aufgerufen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

Diese konzentrieren sich auf die Bereiche Früherkennung, Biosicherheit und Impfung. Früherkennung hat vor allem das praktische Ziel, gestorbene Tiere möglichst rasch einzusammeln, damit sich möglichst wenige weitere Tiere infizieren. Es ist der Weg der Schadensbegrenzung, sowohl Ausbreitung als auch Mutation werden nur abgebremst, nicht aber verhindert.

Maßnahmen der Biosicherheit meinen vor allem die hermetische Abschottung der Tierfabriken, damit möglichst kein Virus hinein und keines herauskommt. Für das Kapital liegt der Charme dieser dystopischen Perspektive darin, dass Geflügelmast nur noch in High-Tech-Anlagen, das heißt nur noch durch Großkonzerne betrieben werden könnte.

Ohnehin hat die Kapitalisierung der Landwirtschaft, die sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant ausbreitete und beschleunigte, auch eine enorme Konzentration des Agrarkapitals mit sich gebracht. Ein halbes Dutzend, seit kurzem nur noch eine Handvoll Großkonzerne teilen hier die Welt unter sich auf: Dow Chemical, DuPont, BASF, Bayer (das 2018 Monsanto dazukaufte) und Syngeta (bis 2017 schweizerisch, heute chinesisch). Die für die Panzootie Hauptverantwortlichen wollen sie nun auch noch dazu nutzen, um mit staatlicher Hilfe Konkurrenz auszuschalten. Tatsächlich gibt es, wie Rob Wallace in seinem neuesten Buch »The Fault in Our SARS: COVID-19 in the Biden Era« eingehend schildert, in vielen Ländern Bestrebungen, Hinterhofhaltungen zu verbieten. Das könnte nicht nur die Ernährungssouveränität, sondern auch die Existenz von Millionen Menschen vernichten.[8] Wie die ebenso konzentrierten und gleichermaßen für zunehmende Pandemiegefahren verantwortlichen Einzelhandelskonzerne (Walmart, Carrefour, Schwarz-Gruppe, Aldi und so weiter) münzen diese Konzerne die von ihnen erzeugten unermesslichen Risiken um – in Profitsteigerungen.

Zudem ist die sogenannte Biosicherheit alles andere als zuverlässig, auch nicht in technisch hoch entwickelten Ländern, die hierfür viel Geld ausgeben können. Machen wir uns bewusst: Jährlich erkranken allein in Deutschland 400.000 bis 600.000 Menschen an Krankenhausinfektionen, etwa 10.000 bis 20.000 sterben an ihnen. Wie sollte in Tierfabriken die Hygiene hergestellt werden, die in Krankenhäusern des Landes mit angeblich einem der besten Gesundheitssysteme der Welt nicht erreicht werden kann? Gesundheitsbehörden und -organisationen erstellen jetzt lange Listen erforderlicher Vorsorgemaßnahmen – die meisten von ihnen sind unrealistisch.

Die bislang nicht ohne gute Gründe verbotene Impfung von Vögeln wird vor allem von den USA und Frankreich vorangetrieben. Mit den in Frankreich verwendeten Impfstoffen startete Mitte September auch ein Feldversuch in zwei Mastanlagen in den Niederlanden. Die Testorte werden geheim gehalten, vermutlich, um Proteste unmöglich zu machen. Die Impfung kann die Erkrankung, aber nicht die Infizierung verhindern beziehungsweise reduzieren. Infizierte Vögel bleiben also ohne Symptome, können in den Handel gelangen und andere Vögel infizieren, die, falls sie nicht geimpft sind, auch erkranken – bei einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen. Das heißt, dass sich die Vogelgrippe weiter ausbreiten kann, unter Umständen sogar schneller, da zunächst vor allem die »wirtschaftlichen« Risiken vermindert werden. Auch die Entstehung neuer, gefährlicherer Varianten könnte so noch beschleunigt werden, denn die massenhafte Impfung begünstigt neue Mutationen. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sich ein von Rob Wallace so genanntes »Nietzsche-Pathogen« ausbreitet, das durch die Impfung nicht umgebracht, sondern stärker gemacht wurde. Beim Menschen beträgt die Inkubationszeit bis zu 17 Tage. Bei Covid-19 war die lange Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen ein ausschlaggebender Grund dafür, dass sich die Seuche in der ganzen Welt ausbreiten konnte, für H5N1 ist das Gleiche zu erwarten.

Impfstoffe für Menschen können erst dann entwickelt werden, wenn klar ist, welche Variante sich unter den Menschen ausbreitet. Angesichts der hohen Mortalität und des schnellen Krankheitsverlaufs ist das keine beruhigende Perspektive. Dass die Impfung des Geflügels wenig transparent gehandhabt und sogar die Orte der »Testzentren« geheim gehalten werden, ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Implementierung gefährlicher Technologien Einschränkungen demokratischer Rechte im Schlepptau nachzieht.

Die nun propagierten Maßnahmen bremsen möglicherweise die Ausbreitung des Virus, nicht aber dessen Entstehung und auch nicht dessen Sprünge zwischen den Arten. Hartnäckig drängt sich der Eindruck auf, dass ausschließlich Schutzmaßnahmen verfolgt werden, die die Umsätze und Gewinne der Fleischindustrie nicht antasten oder aber anderen Konzernen, zum Beispiel der Pharmaindustrie, neue gewaltige Umsätze ermöglichen. Wie auch aus der Covid-19-Pandemie erkennbar, wäre aber die Bekämpfung der Entstehung gefährlicher Mutationen und deren Übersprünge die einzig realistische Chance, um Menschen und Tiere wirksam zu schützen. Weil sie die kapitalistischen Systemgesetze weder grundsätzlich noch in ihrer neoliberalen Ausprägung in Frage stellen, klammern die WHO, die Massenmedien, sämtliche Gesundheitsinstitutionen und fast alle politischen Parteien die einzig sinnvolle Lösung – die Beendigung der Massentierhaltung – hartnäckig aus. Die sozialistische Befreiung der Tiere vom Fleischkapital schließt die Lösung hingegen ein.

Michael Kohler

Ein Artikel aus dem Zirkular “Hammel & Sittich”, Ausgabe 4, Dezember 2023