Ausbeutung am laufenden Band

Zur literarischen Verarbeitung der brutalen Arbeit in der Tierverwertung bei Joseph Ponthus

»Metallbäuche in denen die Garnelen/ Aufgetaut/ Sortiert/ Gegaren/ Wiedergefroren/ Wiedersortiert/ Verpackt/ Ettikettiert/ und wiederwiedersortiert werden.« In diesen Worten wird im Werk »Am laufenden Band« einer der Arbeitsorte von Joseph Ponthus beschrieben, welcher der Liebe und Arbeitssuche wegen in die Bretagne gezogen ist. Die Gegend in Frankreichs nordöstlichem Zipfel ist für die einen Urlaubsziel, für die anderen birgt sie die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz in einer »Fisch- und Garnelenproduktions- und -verarbeitungs- und -gar- und all das -fabrik«. So auch im Falle des Literaturwissenschaftlers und Sozialpädagogen Ponthus, der, statt eine Festanstellung in seinem gelernten Beruf zu finden, durch eine Zeitarbeitsfirma von einer Fisch- und Fleischverarbeitungsfabrik in die nächste verschoben wird. In 66 kurzen Kapiteln beschreibt der Autor chronologisch jeweils einen seiner Aufgabenbereiche in der Fabrik und zeichnet deren Einfluss auf seinen Alltag nach: »Übermorgen muss ich zurück in die Fabrik/ Doch mir kommts vor als wärs schon/ Morgen/ Schon den Schlafrhythmus anpassen/ Den Lebensrhythmus/ Den die Fabrik diktiert.«

Die aneinandergereihten Kapitelchen bestehen aus aufgereihten ungereimten Versen, portioniert in kurze Strophen, die daherkommen wie Waren auf dem Fließband. Der Lesefluss dieser sprachlichen Portiönchen läuft ebenso ununterbrochen wie ein Fließband, das in der Fabrik immerfort weiterläuft. Diese performative Schreibweise, verstärkt durch die fehlende Interpunktion, erinnert zudem an gesprochene Sprache, was das Werk gleichermaßen poetisch und lebensnah erscheinen lässt. Ponthus‘ besondere literarische Schreibweise lässt somit das inhaltlich Beschriebene ästhetisch Form annehmen und verstärkt dessen Wirkung auf die Leser.

Auch inhaltlich birgt das Werk einige Stärken. Joseph Ponthus schildert dem Leser unmittelbar das alte Lied und Leid der Ausbeutung, deren Momente sein Werk inhaltlich strukturieren: eigene Ersetzbarkeit, die Alltagsorganisation, der Anfahrtsweg in die Fabrik, die Zeitarbeitsfirma, seine Kollegen, Umgang mit der Monotonie, Gestaltung seiner Beziehung neben der Arbeit als Beispiele. Der ehemalige politische Aktivist verkennt dabei die Logik hinter der Ausbeutung und deren Organisierung in der Fabrik nicht, inklusive der kleinen Zugeständnisse an die Arbeiter (»Ruh dich ein halbes Stündchen aus/ Kleine Zitrone/ Da ist noch Saft drin den ich auspressen will«). Ein kleiner Wermutstropfen bleibt aber, denn er lässt in seinen Schlussfolgerungen den eigentlichen Grund für die Ausbeutung aus. Ponthus, welcher sich in seinem Werk positiv auf Marx bezieht und sich selbst als Anarchisten sieht, benennt und beschreibt die Organisation der Ausbeutung innerhalb der Fabrik klar, er sieht sie jedoch als von den Maschinen diktiert (»Die Fabrik wird uns fressen/ Frisst uns jetzt schon«), oder von den Chefs gelenkt an (»Das alte Lied/ Die einen schaffen/ Die anderen cheffen/ Produktionsrhythmen werden von oben diktiert«), so wie es von einem Arbeiter eben alltäglich erlebt wird. An dieser Stelle wäre es schön gewesen, wenn der Autor, dessen politisches Bewusstsein immer wieder durchdringt und welcher auch mit der klassischen Arbeiterliteratur vertraut ist, die Urheber seiner Ausbeutung klar benannt hätte: die Fabrikbesitzer. An dieser Stelle bleibt er in der Arbeiterperspektive allzu stark verhaftet, welche er an anderer Stelle zu überwinden vermag.

Tierleid auf dem Nebenschauplatz

Nebst der menschlichen Ausbeutung, deren Organisation, Aspekte und Folgen Hauptthemen seines Werkes bilden, schwingt natürlich auch die Ausbeutung der Tiere mit, ist seine Arbeit doch um die Verarbeitung tierischer Körper organisiert. Selten wird sie jedoch beim Fleischliebhaber zum Thema, er scheint dies vielmehr zu verdrängen. Ponthus beschreibt zwar in seiner nüchternen, sachlichen Sprache sehr genau, wie er die Körper und Körperteile der Tiere im Sekundentakt greifen und weiterverarbeiten oder ihre Ausscheidungen wegmachen muss (»Teile die ich nicht zuordnen kann/ Kiefer/ Hörner/ Vorderhufe/ Hinterhufe/ Manchmal zarte behaarte Ohren noch mit Marke dran/ Andere triefende Teile die ich lieber nicht kenne aber die von Wiederkäuern stammen/ Bestimmt die Pansen/ Und Euter«). Er scheint jedoch das tierische Leid dahinter nicht gerade zu erkennen. Seine Empathie vermag er bloß auf seinen Hund auszuweiten, welchen er abends nach der Arbeit spazieren führt. Innerer Widerstand scheint sich jedoch trotzdem gegenüber dem Schlachten aufzutun: »Vielleicht ist es schrecklich das zu sagen aber/ Würden die Chefs mir auftragen Tiere zu töten/ Ich würde es tun/ Irgendwas muss man ja tun […] Die Fabrik wirft meinen Körper um/ Meine Überzeugungen.« Leise klingt hier an, dass sich bei dem, welcher die Ausbeutung der Arbeiter klar beschreiben und benennen kann, eine Ratlosigkeit gegenüber der Tierausbeutung einschleicht.

Zwei weitere Aspekte blitzen zudem an dieser Stelle auf: Ponthus erkennt zum einen, dass es einen inneren Prozess braucht, um die empathische Seite, welche der Ausführung einer solchen Arbeit im Weg steht, abzuspalten. Zum andern zeigt seine Ratlosigkeit an dieser Stelle auch, dass die individuelle Position oder Meinung einzelner Arbeiter in diesem System leider nicht relevant ist und sich diese Widersprüche nicht in der Praxis eines einzelnen auflösen lassen.

Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Ponthus, der mit diesem ersten (und leider letzten) Buch Berühmtheit erlangte, bezieht sich immer wieder positiv auf die Arbeiterliteratur, worin auch sein eigenes Werk eingereiht werden kann. Dieses ist jedoch weniger eine Aufarbeitung der Vergangenheit als Arbeiter(-kind) oder eine ›Milieustudie‹ wie bei jüngeren Werken der Arbeiterliteratur wie z.B. »Mann seiner Klasse« von Christian Baron, sondern vielmehr eine literarisierte minutiöse Darstellung des Fabrikalltags. Der Kern von Ponthus‘ Leistung ist dabei dieselbe: Er macht die Arbeiterperspektive sichtbar, welche sonst überall unterdrückt wird. Die Bedeutung einer solchen Literatur ist nicht zu verkennen in Zeiten, in denen die Ausbeutung und Verachtung der Arbeiter gleichermaßen intensiviert werden.

Monika Kern

  • Joseph Ponthus: Am laufenden Band. Aufzeichnungen aus der Fabrik. Berlin, Matthes & Seitz, 2021, 280 Seiten, 15,99 €.

Ein Artikel aus dem Zirkular “Hammel & Sittich”, Ausgabe 2, November 2022