Den Widerspruch beim Namen nennen

Die brasilianische Kommunistin, Tierbefreiungsaktivistin und Feministin Maila Costa über die Machenschaften des weltweit größten Fleischkonzerns JBS und den »Veganismus der Massen«

Maila Costa ist Mitglied der Partido Comunista Brasileiro (PCB, Brasilianische Kommunistische Partei) und lebt im Bundesstaat Rio Grande do Sul im Südosten Brasiliens.

Die Regierung Jair Bolsonaros amtiert nun seit Januar 2019 in Brasilien. Was hat sich in dieser Zeit für linke Politik verändert?

Zunächst einmal ist zu betonen, dass neoliberale Maßnahmen wie die Privatisierung von Sozialleistungen und die Einschränkung der Arbeiterrechte bereits 2016 von Michel Temer eingeleitet wurden. Er hatte damals nach dem Putsch gegen Dilma Rousseff eine national-konservative Regierung gebildet. Bolsonaros Truppe hat dann im Laufe ihrer bisherigen Amtszeit alles darangesetzt, den kolonialen Status Brasiliens in der internationalen Arbeitsteilung auszubauen. Einerseits erschwert das die Arbeit der radikalen Linken und hegt sie ein. Andererseits führt die zunehmende Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse dazu, dass viele Menschen sich auf sich selbst und ihre Klasse besinnen und Teil der Widerstandsbewegung werden.

Ein Gegner linker Politik in Brasilien ist der weltweit größte Fleischkonzern JBS. Es ist bekannt, dass Mitglieder der Bolsonaro-Administration in der Vergangenheit Bestechungsgelder von dem Unternehmen angenommen haben. Wie sieht heute die Beziehung zwischen der Regierung und JBS aus?

Gegenwärtig unterhält die Regierung eine Kommission, die die Belange des Agribusiness vertritt. Der Ausschuss wird von 38 Interessenverbänden finanziert; JBS gehört einigen von ihnen an. Zudem ist das Unternehmen seit dem Regierungsende der Arbeiterpartei (PT) 2016 mit knapp vier Millionen Euro von der staatlichen Brasilianischen Entwicklungsbank finanziert worden, die übrigens auch Anteile an JBS hält. Hinzu kommt, dass Tereza Cristina, Bolsonaros Landwirtschaftsministerin, selber Landeigentümerin ist und mit den Besitzern von JBS, der Batista-Familie, Geschäfte macht. Aber sie behauptet natürlich, dass es zwischen ihrem Amt und ihrem Business keinerlei Interessenkonflikt gäbe.

JBS hat sich in nur zehn Jahren von einem kleinen Schlachtbetrieb zum führenden privaten Konglomerat Brasiliens entwickelt. Im Jahr 2018 machte der Konzern einen Rekordumsatz von 41,3 Milliarden Euro. Kannst Du uns das JBS-System und die Konsequenzen für Tiere, Arbeiter und die Natur umreißen?

JBS vollzog den Schritt von einem nationalen Unternehmen zu einem multinationalen Konglomerat, als die Batistas entschieden, Firmenanteile auf dem Finanzmarkt zu handeln und Konkurrenten aufzukaufen. Die Brasilianische Entwicklungsbank förderte die Internationalisierungsstrategien von JBS. Damals geschah das im Rahmen der Expansionspolitik der Lula-Regierung für nationale Unternehmen. Die wachsende globale Verbreitung von Tierprodukten, insbesondere in China, war ebenfalls entscheidend für die Entwicklung. JBS hat Steuererleichterungen und Subventionen genutzt, Bestechungsgelder gezahlt, um nicht nur die Fleischverarbeitung, sondern auch seinen Einfluss in anderen Sparten, zum Beispiel im Banken- und Telekommunikationssektor, zu vergrößern. Derzeit arbeiten 235.000 Kollegen für das Unternehmen. Der gesamte Schlachtsektor in Brasilien ist schrecklich. JBS ist als der »Champion der Arbeitsunfälle« bekannt. Allein im Bundesstaat Mato Grosso melden JBS-Beschäftigte pro Jahr 19.000 Verstöße gegen das Arbeitsrecht. Dazu kommen der psychologische Stress, den die inhumane Schlachtarbeit mit sich bringt, und der hohe Grad an Entfremdung vom »Produkt«, von den Tieren und sich selbst. Das Schicksal der Millionen von nichtmenschlichen Tieren unter der Kontrolle der Industrie ist einfach schlimm. Die Zahlen sind ungeheuerlich: Pro Tag lässt JBS 45.000 Rinder, 47.000 Schweine und 10 Millionen Hühner töten. Um den gesetzlichen Regelungen nachzukommen, werden die Rinder in Brasilien auf offenen Wiesen gehalten. Aber in den anderen Staaten, in denen JBS operiert, existiert die Intensivhaltung, was noch grausamer ist. Die Liste der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, wird immer länger. Zum Beispiel geht infolge des monokulturellen Anbaus von Tiernahrung die Bodenqualität zurück, die Wasser- und Luftverschmutzung nimmt aufgrund von Abfällen, Pestiziden und Treibhausgasemissionen zu und so weiter.

Gibt es Widerstand oder zumindest Protest gegen JBS und dessen Ausbeutungssystem?

Nicht dass ich wüsste. Es ist extrem schwer, Aktionen gegen Konzerne zu organisieren, weil die Macht der Militärpolizei schamlos gegen Protestierende eingesetzt wird. Gerade auf dem Land, wo die Tiere gehalten werden, ist es sehr gefährlich, etwas zu unternehmen. Die Vorarbeiter zögern nicht zu schießen. Es gibt dutzende Fälle, in denen Landlosenaktivisten und Indigene den Interessen des Agribusiness zum Opfer gefallen sind.

Brasilien ist ein Staat der Semiperipherie im kapitalistischen Weltsystem. Die sozialen und andere Probleme sind gravierend. Hat es in dieser Konstellation überhaupt politisch Sinn, für die Befreiung der Tiere zu kämpfen?

Ich würde sagen, dass es genau wegen der komplexen sozialen Verhältnisse sinnvoll und notwendig ist. Die historische Position Brasiliens in der internationalen Arbeitsteilung ist die einer Kolonie im Dienst europäischer Staaten. Heute finden hier Teile der kapitalistischen Produktion statt, die man aus den Metropolen verbannen will. Das schließt die intensive Ausbeutung von Tieren mit allen ihren Konsequenzen ein. Die Herstellung tierischer Waren in großem Maßstab und die dazugehörige Futtermittelproduktion bringen einen Haufen Probleme mit sich. Zum Beispiel für eine Bevölkerung, die nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln hat, oder die Kriminalisierung der Agrarreformbewegungen. Ich denke, auf das Elend der nichtmenschlichen Tiere hinzuweisen, heißt, einen weiteren schrecklichen Widerspruch des Kapitalismus, der extremes Leid hervorbringt, beim Namen zu nennen.

Wir haben gemischte Erfahrungen mit der Linken im Allgemeinen und Kommunisten im Besonderen gemacht, wenn wir sie mit der Tierfrage konfrontiert haben. Welchen Stellenwert besitzt Tierbefreiung in der Politik der Brasilianischen Kommunistischen Partei (PCB)?

Wie unter den meisten Linken befindet sich die Debatte zur Tierfrage unter Kommunisten auf Embryoniveau. Tierbefreiung wird nur mit Veganismus in Verbindung gebracht und diese Assoziation provoziert reflexartig die marxistische Kritik individualistischen Handelns. Einige Genossen und ich versuchen, dieses Zerrbild zu kritisieren und zu verdeutlichen, dass Tierausbeutung nicht allein durch einen veganen Lebensstil beendet werden kann. Veganismus ist Teil revolutionärer Praxis. Das folgt aus unseren ethischen Standards, die auch für Tiere gelten. Der Konsum von Tieren war historisch notwendig, kann aber heute dank der Produktivkraftentwicklung nicht mehr gerechtfertigt werden. Die Mitglieder der Brasilianischen Kommunistischen Partei verstehen im Durchschnitt, dass die Tierindustrie mehrere Widersprüche aufweist. Aber das ist zunächst nur eine theoretische Erkenntnis ohne große Implikationen für die politische oder sozioreproduktive Alltagspraxis. Die Parteijugendorganisation União da Juventude Comunista (UJC) bildet hier die Ausnahme von der Regel. Dort widmen sich, wohl der globalen Tendenz folgend, weitaus mehr Genossen der Sache der Tiere. In Deutschland, der Schweiz und anderen Staaten der westlichen Hemisphäre stellen verschiedene Spielarten des Liberalismus, innerhalb derer der Veganismus Dreh- und Angelpunkt ist, die stärkste Strömung der Bewegungen, die sich für das Wohl der Tiere einsetzen.

Kannst Du umreißen, wie die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung in Brasilien aufgestellt ist?

Wie in allen Bewegungen, die sich vorrangig gegen Herrschaft richten, gibt es einen Hang zum Liberalismus. Veganismus wird in Brasilien aber allgemein populärer, auch der politische oder, wie wir ihn nennen, der »Veganismus der Massen« (»veganismo popular«). Natürlich gehört ein Großteil der Veganer hier zur weißen Mittelklasse und glaubt an den »Veganismus des Marktes«. Aber es werden auch zunehmend mehr Menschen aus der Arbeiterklasse vegan im politischen Sinne, also nicht nur zur Gewissenserleichterung oder aus gesundheitlichen Motiven. Die Zahl der antispeziesistischen Kollektive ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Ich kann mich zwar an kein exklusiv marxistisches erinnern. Aber es gibt einige, die antikapitalistische Positionen vertreten und in denen Marxisten arbeiten, normalerweise gemeinsam mit Anarchisten. Darüber hinaus gibt es sehr interessante Initiativen wie die Favela Orgânica. Das ist ein Projekt in der Favela Babilônia in Rio de Janeiro. Es dient dazu, die Anwohner in der Nutzung von Pflanzen auszubilden, die infolge der Industrialisierung der Nahrungsmittel in Vergessenheit geraten sind. Die Aktiven haben sich darüber hinaus zum Ziel gesetzt, den Vorbehalt, Veganismus sei elitär, zu durchbrechen. Die Animal Liberation Front ist im Land ebenfalls aktiv. Schließlich arbeiten Leute wie ich und einige Genossen in politischen Organisationen und den breiteren Volksbewegungen und Parteien und führen dort die notwendigen Debatten.

Was sollten marxistische Tierbefreiungsaktivisten in den imperialistischen Zentren tun, um ihre Genossen in der Semiperipherie und der Peripherie zu unterstützen?

Ich habe schon einmal in Europa gelebt. Der Unterschied zwischen der Tierbefreiungsbewegung dort und der in Brasilien ist enorm. In Europa bekommt man den Eindruck, dass die Forderung der Befreiung der Tiere auf den Einkauf von veganen Produkten reduziert wird. Es besteht kein Bedürfnis zu hinterfragen, warum einige Menschen nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt sind und warum Indigene getötet oder vertrieben werden, damit Landeigentümer Soja anbauen können. In Brasilien stehen diese Fragen immer auf der Tagesordnung. Es ist praktisch unmöglich, über die Abschaffung der Tierausbeutung zu reden, ohne auch die anderen Probleme zu berücksichtigen. Der marxistische Flügel der Tierbefreiungsbewegung sollte solidarisch sein. Er muss versuchen, die unterschiedlichen materiellen Lebensbedingungen in anderen Teilen der Welt zu verstehen und sie in die Analyse der gesellschaftlichen Totalität einzubeziehen.

Interview: Christian Stache

Ein Artikel aus unserer Zeitung “Das Fleischkapital”.