Münchener Umweltaktivisten wollen grundlegende gesellschaftliche Veränderungen statt moralische Appelle
Das Offene Antikapitalistische Klimatreffen München (OAKM) ist eine politische Organisation für all jene, die der Ansicht sind, dass die Klimakrise und die kapitalistische Produktionsweise untrennbar miteinander verbunden sind und zusammen bekämpft werden müssen. Seit der Gründung des Klimatreffens 2019 tragen die bayerischen Genossen diesen Ansatz auf die Straße und konfrontieren die Verursacher der Erderwärmung mit ihrem Protest. Im Interview sprechen sie über ihre klassenpolitischen Positionen, ihre Praxis und die Probleme der Klimabewegung.
Der von Greta Thunberg initiierte »Schulstreik für das Klima« gab im Herbst 2018 den Anstoß für eine neue Bewegung gegen den globalen Klimawandel. Wie steht Ihr zu dieser, und wie verortet Ihr sie politisch?
Fridays for Future (FFF) hat viele Menschen dazu gebracht, gegen die Zerstörung unseres Planeten auf die Straße zu gehen, und das ist erst einmal sehr erfreulich. Aber weil diese Bewegung in kurzer Zeit sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, gab und gibt es den Versuch des Establishments, sie für sich zu vereinnahmen. Da wird dann plötzlich Greta Thunberg auf den Wirtschaftsgipfel von Davos eingeladen, also von all jenen, die die Klimakatastrophe befeuern. Diese Vereinnahmung hat sicher mit dazu beigetragen, dass FFF von Anfang an eine sehr unkritische Haltung zum Staat und zu den Konzernen eingenommen hat. Statt Veränderungen in der Produktion zu fordern, hat die Bewegung lange ausschließlich darauf gesetzt, Appelle an die Politik zu richten oder das Konsumverhalten der Menschen zu kritisieren. Wir haben seit Beginn ein solidarisches Verhältnis zu FFF, aber in Diskussionen auch immer wieder dargelegt, warum wir der Ansicht sind, dass die Bewegung keine sinnvolle Strategie zur Lösung der Klimafrage liefert.
Ihr haltet also Appelle an die Volksvertreter, endlich »Verantwortung zu übernehmen«, für naiv. Warum kann man denn auf diese Weise keine Kursänderung in der Klimapolitik erwarten?
Der Grund dafür, dass die Politiker nichts gegen die Erderwärmung tun, ist ja nicht Faulheit oder Unwissenheit. Sie vertreten in erster Linie die Interessen der großen Konzerne. Wenn beispielsweise der Energiekonzern RWE ein Dorf dem Erdboden gleichmachen will, um dort nach Kohle zu baggern, kann er auf die Unterstützung der Politik setzen. Ebenso hat die Automobilindustrie in der Coronakrise trotz Dividendenausschüttung Staatsgelder kassiert. Echten Klimaschutz können wir nur gegen die heutigen Vertreter der staatlichen Politik durchsetzen.
Was genau vermittelt Ihr inhaltlich, wenn Ihr Aktionen macht, und wie stellt Ihr sicher, dass Eure Message ankommt?
Zwei Punkte sind uns besonders wichtig: DerKampf um Veränderungen in der Produktion statt moralische Konsumkritik und der Standpunkt der lohnabhängigen Klasse. Denn der Kampf gegen die Klimakatastrophe ist ein Klassenkampf. Wir sitzen nicht alle im vielbeschworenen selben Boot. Hinter der immer weitergehenden Zerstörung unserer Umwelt und des Klimas stehen die Interessen des Kapitals, der Eigentümer und großen Investoren, für die Klimaschutz eine Minderung ihrer Profite bedeuten würde. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der werktätigen Bevölkerung. Wenn wir gegen bestimmte Konzerne protestieren, verteilen wir beispielsweise Flyer vor deren Betriebsstätten und versuchen, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Uns ist wichtig zu zeigen, dass die Arbeiter und die Klimabewegung objektiv einen gemeinsamen Kampf führen.
Die Arbeiter für Umweltthemen zu gewinnen, ist aber nicht immer ganz einfach. Schließlich fürchten sie häufig um ihren Arbeitsplatz, etwa wenn sie in der Autoindustrie oder im Braunkohlerevier beschäftigt sind. Was genau sagt Ihr also den Kollegen am Werktor?
Als beispielsweise Siemens im Dezember 2019 zugesagt hat, dem Großkonzern Adani beim Bau einer großen Kohlemine zu helfen, haben wir vor den verschiedenen Siemens-Werken in München Flugblätter an die Arbeiter verteilt, deren Stoßrichtung war: Ihr und wir haben beide kein Interesse an dem Bau, und es ist eine Frechheit, dass weder ihr noch wir darüber bestimmen dürfen. Wir haben eine Menge positiver Rückmeldungen von den Beschäftigten bekommen. Denn viele von ihnen sind überhaupt nicht glücklich, dass ihr Arbeitgeber dabei hilft, den Klimawandel zu beschleunigen. Klar ist, dass viel zu viele Entscheidungen einfach über die Köpfe der Beschäftigten hinweg gefällt werden, und da können und sollten wir einhaken. In der Braunkohle beispielsweise wissen alle, dass der Ausstieg früher oder später kommen wird. Aber es gibt zu wenige Konversionsstrategien. Ein Ausstieg darf nicht gleichbedeutend mit Arbeitslosigkeit sein. Wir müssen die Auseinandersetzung darüber, wer ihn gestaltet und was nach der Kohle kommt, politisieren, um die Beschäftigten einzubinden und sie für die gemeinsame Sache zu gewinnen.
Ihr fordert die Enteignung von Banken und Konzernen. Warum und mit welcher Perspektive?
Der permanente Drang zur Ausweitung der Produktion und Senkung der Kosten ist der Hauptgrund für die Verschärfung der Klimakrise. Er rührt daher, dass die Eigentümer der Banken und großen Konzerne möglichst viele Profite generieren wollen. Eine Enteignung böte uns die Möglichkeit, selbst über die Produktion zu entscheiden. Wir könnten darüber befinden, ob wir Kohle- oder Solarstrom produzieren wollen, ob Fleisch auf der Basis von Massentierhaltung hergestellt werden soll und ob wir wollen, dass immer größere Autos gebaut werden. All diese Entscheidungen sollten demokratisch von der Gesellschaft getroffen werden und nicht von einzelnen Vorstandsvorsitzenden. Damit das möglich werden kann, müssen wir die Kontrolle über die Produktionsmittel gewinnen – sie enteignen.
Und was wären Eure konkreten Vorschläge, die als realpolitische Sofortmaßnahmen bereits hier und heute umgesetzt werden müssten?
Das kommt auf die Definition von Realpolitik an. Ist damit gemeint, was sofort durchsetzbar wäre, wenn wir die Kraft dazu hätten, oder was wir denken, das die Regierung umzusetzen bereit wäre? Dazwischen liegen nämlich Welten. Gemessen an der Handlungsbereitschaft unserer Regierung scheint schon die Forderung des Ausstiegs aus der Kohle in den kommenden zehn Jahren, ohne die ehemaligen Bergarbeiter arbeitslos zurückzulassen, fast nicht mehr realpolitisch. Ein guter Anfang wäre es in jedem Fall, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, zum Beispiel indem man die Abstandregelungen im Bereich der Windkraft kippt. Weitere mögliche Sofortmaßnahmen wären die Zurücknahme aller Subventionen für klimaschädliche Technologien, die Einführung günstiger Bahntickets, ein Verbot von geplanter Obsoleszenz. Aber realpolitisch wird jede einzelne dieser Maßnahmen erst, wenn wir stark genug sind, sie durchzusetzen.
Unter Berücksichtigung einer Konversionsstrategie im Sinne des Umweltschutzes und der Interessen der Beschäftigten erachtet Ihr einen sofortigen Ausstieg aus der Kohle als sinnvoll. Aber wie steht Ihr zur Fleischindustrie, die laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen für 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist?
Die Fleischindustrie als Industriezweig, der durch massive Ausbeutung von Mensch und Natur Profite erwirtschaftet, ist auf jeden Fall reif für den Sofortausstieg. Dabei geht es uns nicht um die ethische Frage, ob Fleischkonsum vertretbar ist oder nicht, und auch nicht darum, Menschen moralisch anzuklagen, wenn sie ein Schnitzel essen. Es geht um eine Branche, in der Arbeiter und Tiere unter ekelhaftesten Bedingungen gequält werden, um solche Massen an Fleisch zu produzieren, dass man weltweit die Märkte damit überschwemmen kann. Diese Branche sollte so definitiv nicht weiter bestehen dürfen.
Interview: Daniel Werding
Ein Artikel aus unserer Zeitung “Das Fleischkapital”.