Im Zentrum des imperialistischen Weltsystems

Wie das deutsche Fleischkapital von internationalen Ausbeutungsverhältnissen profitiert

Die Großunternehmer der deutschen Fleischindustrie sitzen fest im Sattel. Sie konnten ihr Business in den vergangenen Jahren sogar stark ausbauen – und das obwohl der hiesige Markt gesättigt ist und der vegan-vegetarische Konsum wächst. Die Branche hat 2018 einen Gesamtumsatz von 42,5 Milliarden Euro erwirtschaftet, mehr als doppelt so viel wie noch zur Jahrtausendwende. Jeder dritte Euro aus diesen Verkaufserlösen geht derzeit an ein Viereroligopol. Allein der Branchenprimus, die Tönnies Holding, erzielte im Jahr 2019 Rekordeinnahmen von 7,3 Milliarden Euro. Der Konzern hat seiner Eigentümerfamilie laut Forbes-Magazin ein Privatvermögen von etwa zwei Milliarden Euro zusammenschlachten lassen.

Dass die Geschäfte der Industrieriesen derart gut florieren, liegt nicht nur an der effizienten Ausbeutung von Arbeitern und Tieren an hiesigen Produktionsstandorten. Tönnies, PHW und Co ziehen auch aus internationalen Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnissen, mithin aus der Aufteilung der Welt in imperialistische Zentren und Peripherien ihren Vorteil. Allein der Umstand, dass Lohnabhängige aus Osteuropa bereit sind, an den Schlachtstraßen dieser Republik für Niedriglöhne Schwerstarbeit zu leisten, lässt sich ohne die vom deutschen Imperialismus forcierte ungleiche Entwicklung in Europa und die daraus resultierende existenzielle Abhängigkeit vieler Menschen von jedem noch so schlechten Job nicht erklären. Das Fleischkapital gehört darüber hinaus auch durch Auslandsinvestitionen, Futtermittelimporte und Fleischexporte zu den Nutznießern des imperialistischen Weltsystems.

Geografische Expansion: Profitsteigerung durch Kapitalexport

Zur Überwindung der Akkumulationsschranken, die mit der Sättigung des deutschen Marktes einhergehen, dient den Fleischkonzernen nicht nur der Export fertiger Waren. Ihre Gewinne wachsen vermehrt auch durch den Kapitalexport in Länder mit großen Märkten, billigen Arbeitskräften und niedrigen Produktionsstandards.

Zum Beispiel Tönnies: Nachdem der Konzern 2019 den größten Umsatz seiner Geschichte verzeichnet hatte, kündigte Miteigentümer Clemens Tönnies eine Investition in China in Höhe von 500 Millionen Euro an. Gemeinsam mit der chinesischen Dekon Group will er in der Provinz Sichuan einen Schweineschlachthof bauen lassen, in dem vorerst zwei Millionen Tiere pro Jahr getötet werden sollen. Mit seinem ersten Produktionsstandort in der Volksrepublik setzt Tönnies die geografische Ausweitung seines Einflussbereichs fort, die mit der Einrichtung von bislang 29 Produktions- und Vertriebsorten außerhalb Deutschlands bereits in vollem Gange ist. Für die nahe Zukunft visiert er auch dem Schlachten vorgelagerte Produktionsschritte wie die Schweinemast für Auslandsinvestitionen an.

Der Geflügelkonzern PHW hat ebenfalls außerhalb der Bundesrepublik investiert. Neben den zwei polnischen Tochtergesellschaften Drobimex und Bomadek hält die Unternehmensgruppe zum Beispiel Anteile an der bulgarischen Ameta- Gruppe. Etwa ein Fünftel der PHW-Umsätze entfallen derzeit auf solche Auslandsbeteiligungen. Durch die Produktion vor Ort will der Konzern es schaffen, ausländische Märkte einzunehmen, erklärt PHW-Chef Wesjohann. Denn es gebe »Teilbereiche, in denen wir mit deutscher Ware nicht wettbewerbsfähig sind«. Polen hingegen habe vorteilhaftere Tierschutzbestimmungen (dort sei mit 42 Kilo pro Quadratmeter eine höhere »Besatzdichte« erlaubt) und »viel niedrigere Lohnund Baukosten«.

Neben der Ausbeutung von Arbeitern und Tieren in verschiedenen Ländern der Welt unter dem Kommando des deutschen Fleischkapitals geht mit dieser Expansion auch der Transfer andernorts erwirtschafteter Gewinne in hiesige Unternehmenszentralen einher. So verstärken Kapitalexporte die Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen einiger Profiteure in den imperialistischen Zentren. Zugleich wächst deren Entscheidungsmacht darüber, was, wo und unter welchen Bedingungen produziert wird.

Tierfutteranbau in Südamerika

Zu den Konsequenzen der Verwertungsstrategien der Big Player im Fleischbusiness zählt auch, dass gegenwärtig mehr als 70 Prozent aller weltweit landwirtschaftlich genutzten Flächen für den Anbau von Mastfutter oder als Weideland verwendet werden und somit nicht für eine sozial und ökologisch sinnvolle Nutzung, etwa für die Produktion pflanzlicher Nahrungsmittel oder für die Wiederaufforstung gerodeter Waldflächen, zur Verfügung stehen. In Deutschland sind es »nur« knapp 60 Prozent, denn ein Teil des Tierfutters wird importiert. Damit die Schlachtfabrikanten hier profitabel wirtschaften und Tiere zu Schleuderpreisen kaufen können, wird dem Futter stark eiweißhaltiges Sojaschrot beigemischt, das die Mast beschleunigt. In der BRD wird diese Ölsaat allerdings kaum angebaut. Deutsche Unternehmen haben deshalb 2018 rund sechs Millionen Tonnen Soja importiert – unter anderem aus Südamerika.

Die Fleischindustrie als maßgeblicher Nutznießer dieser Importe befeuert so, was in Argentinien »Sojafizierung« genannt wird. Der Begriff verweist sowohl auf die massive Ausdehnung der dortigen Sojaanbaugebiete auf heute knapp 20 Millionen Hektar als auch auf die ökonomische Abhängigkeit des südamerikanischen Landes von Sojaexporten (in Brasilien wird derzeit sogar auf 36 Millionen Hektar Soja angebaut, einer Fläche so groß wie die BRD).

Die Liste der damit verbundenen Probleme ist lang: Die industrielle Sojaproduktion und ihre Expansion gehen mit einer umfangreichen Vernichtung von Regenwäldern und anderen Ökosystemen einher. Die Kapitalkonzentration nimmt im südamerikanischen Agribusiness zu – und mit ihr auch die Verdrängung von Kleinbauern. An den Grenzen der Anbaugebiete werden indigene und andere Gemeinden oft sogar gewaltsam vertrieben und entrechtet. Der Stundenlohn der Arbeiter, die bislang nicht zum Teil der industriellen Reservearmee geworden sind, also trotz der monokulturellen und hoch technologisierten Landwirtschaft noch einen Job finden, ist schlecht. Und viele Menschen, die nahe an Anbauflächen wohnen, tragen durch den Einsatz von Agrarchemikalien gesundheitliche Schäden davon.

Kurzum, während es um die lokale Ernährungssouveränität schlecht bestellt ist, profitiert das deutsche Fleischkapital durch die Verwendung von Soja in der Tiermast als effektives und günstiges Produktionsmittel – im Bund mit lokalen Agrarkapitalisten – vom Sojabusiness in Südamerika. Sozioökonomische Folgen werden dabei ebenso in Kauf genommen wie eine gewaltige Naturzerstörung.

Frozen Chicken

Der Fleischproduktion nachgelagert, trägt der Export billiger Waren dazu bei, dass Länder in der Peripherie des imperialistischen Weltsystems keine konkurrenzfähige Lebensmittelproduktion aufbauen oder aufrechterhalten können und stattdessen vom Fleischimport abhängig gemacht werden. Deutschland konzentriert sich heute zwar vorwiegend auf die Ausfuhr von Fleischwaren in andere EUStaaten. Nach Recherchen von Germanwatch und Miserior haben sich allerdings die Dumpingpreis-Exporte von Schweinefleisch, Geflügelfleisch und Schlachtnebenerzeugnissen aus der BRD in die ärmsten Länder dieser Erde zwischen 2000 und 2015 mehr als verfünffacht.

Wie ruinös solche Handelsbeziehung sein können, zeigt das Beispiel Ghana. Das Land ist als Musterschüler des Neoliberalismus zu einem Liebling globaler Konzerne geworden, die sich dort auf dem deregulierten Markt tummeln. Geflügelunternehmen aus der EU setzen tiefgekühlte Waren ab, die sie innerhalb Europas nicht mehr loswerden können: Hühner, die einst als Legehennen genutzt wurden, ihre Innereien und Füße etc. Gewinne würden die Großkonzerne auch ohne diese Ausfuhren machen, aber die Exporte bieten Extraprofite und auch die Möglichkeit, die eigene Marktmacht jenseits der Grenzen Europas auszuweiten.

Noch in den 1990er-Jahren hat Ghana, laut Deutschlandfunk, etwa 80 Prozent seines Bedarfs an Geflügelfleisch selber produziert. Heute sei die Geflügelbranche dort »fast tot«, weil sie mit dem Tiefkühlwarenangebot aus der EU nicht konkurrieren könne. Die meisten ehemaligen Hühnerzüchter und Schlachter vor Ort haben ihre Beschäftigung verloren.

Schützenhilfe vom Staat

Die Profite, die Kapitaleigner im Zentrum des Weltsystems aus internationalen Ausbeutungsund Abhängigkeitsverhältnissen ziehen, wären ohne Unterstützung aus der Politik, etwa in Form von Handelsabkommen und Subventionen, nicht realisierbar.

Der deutsche Staat protegiert daher gezielt die Expansionsbemühungen »seiner« Fleischkapitalisten, zum Beispiel durch ein Exportförderprogramm des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Angesichts des hohen Wettbewerbsdrucks im Inland sei der Export für die Ernährungsbranche »zu einer wichtigen Absatzstrategie geworden«, so das BMEL. Durch das Programm sollen Märkte erschlossen werden, indem hochrangige Politiker Wirtschaftsdelegationsreisen in ausgewählte Länder begleiten und sich dort für die »Erzielung von geänderten Rahmenbedingungen« einsetzen, sprich, eine Politik durchsetzen, die dem deutschen Fleischimperialismus zum Vorteil gereicht.

Auch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der von der deutschen herrschenden Klasse dominierten EU spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Ihre Förderposten ermöglichen flächengebundene Direktzahlungen und Investitionsbeihilfen an Fleischunternehmen, die dazu beitragen, so eine Analyse von Germanwatch, dass »Schlachthöfe ihre Produkte zu Preisen unterhalb der wirklichen Produktionskosten exportieren können«.

Für den Abbau von Handelsbarrieren und die Etablierung von Freihandelsverträgen ist ebenfalls maßgeblich die EU zuständig. Momentan führt sie mit zahlreichen Ländern der Peripherie Verhandlungen über »Wirtschaftspartnerschaftsabkommen« und greift damit in deren Ökonomien ein. So soll Ghana 80 Prozent der Zölle auf EUImporte aufheben, ansonsten drohen Strafzölle und der Verlust des Marktzugangs. Die Einfuhr billigen Sojas wird auf ähnliche Weise politisch flankiert: Im Rahmen der Verhandlungen um das derzeit auf Eis liegende EU-Mercosur-Freihandelsabkommen hat Argentinien 2019 einem Vertragstext zugestimmt, der das Land verpflichten würde, seine Exportsteuern auf Soja massiv abzusenken. Während sich die ohnehin klammen Staatskassen des Landes auf diese Weise weiter leeren würden, könnte das Fleischkapital von billigeren Produktionsmitteln profitieren. Nicht umsonst bilanziert der Weltsystemanalytiker Immanuel Wallerstein mit Blick auf solche Abkommen: Freihandel ist »Freihandelsimperialismus«.

Mit staatlicher Hilfe profitieren deutsche Fleischkonzerne international von Ausbeutung, ungleicher kapitalistischer Entwicklung und Naturzerstörung. Im Rahmen ihrer Expansionsstrategien arbeiten sie seit Jahren daran, ihre Erlöse von hiesigen Konsumverhältnissen unabhängiger zu machen. Selbst wenn also in der BRD in Zukunft weniger Fleisch gegessen werden würde, zöge das nicht automatisch nach sich, dass Tönnies, PHW und Co weniger Tiere töten lassen, weniger Natur zerstören und sich weniger an dem Mehrwert bereichern, den sie aus der Arbeiterklasse herauspressen. Wer ihrem brutalen Geschäft ein Ende setzen will, muss deshalb die Frage nach den Eigentums- und Produktionsverhältnissen stellen und gleichzeitig über die Grenzen der BRD hinausblicken. Das Fleischkapital ist als Gewinner des imperialistischen Weltsystems zu analysieren und zu bekämpfen.

Christin Bernhold und David Müller

Ein Artikel aus unserer Zeitung “Das Fleischkapital”.