Eine emphatische Kritik am Fleischkomplex

Malte Kornfeld

Das Bündnis „Marxismus und Tierbefreiung“ befasst sich kritisch mit den verschiedenen Aspekten der Ausbeutung von Arbeit, Natur und Tieren und plädiert kompromisslos für eine vegane Lebens- und Ernährungsweise. Im März dieses Jahres hat das Bündnis eine Broschüre herausgegeben, in der verschiedene Autor*innen auf gut dreißig Seiten wichtige Aspekte dieser Thematik behandeln. Es ist geplant, dieser „Nullnummer“ weitere Hefte folgen zu lassen.

Einleitend analysieren Christin Bernhold und John Lütten die Anatomie der deutschen Fleischwirtschaft, die unter anderem mit Infektionsherden während der Pandemie negativ von sich reden machte: Hier finden sich eine massive Konzentration und Zentralisation des Kapitals, enorme Profite und prekäre Arbeitsverhältnisse (s. Z 125, März 2021, S. 175-187). Den Beitrag ergänzen Interviews mit zwei Kollegen aus der Fleischindustrie, die bis vor einiger Zeit mit einem Werkvertrag bei Tönnies gearbeitet haben. Sie seien, wie andere Beschäftigte auch, „wie Sklaven behandelt“ worden und hätten körperlich und „seelisch“ gelitten.

In Anlehnung an Antonio Gramsci entwickelt Christian Stache einen hegemonietheoretischen Zugang zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Tierausbeutung. Hier spielen vor allem durch die „Fleischmagnate“ erwirkten „materiellen Zugeständnisse“ eine Rolle, zu denen auch Tierschutzgesetze gehören, die die „Zustimmung der Subalternen und ihrer Fraktionen zur Tierausbeutung“ ermöglichten. Mehr noch: Das Fleischkapital präge eine „karnivore Lebensweise“, die tief in der „Alltagskultur“ verankert sei. In einem weiteren Beitrag von Bernhold und Stache wird das Fleischkapital „als Nutznießer des imperialistischen Weltsystems“ charakterisiert.

Einen aufschlussreichen Blick über die Grenzen ermöglicht ein von Stache geführtes Interview mit der brasilianischen Kommunistin, Tierbefreiungsaktivistin und Feministin Maila Costa. Sie nimmt den weltgrößten Fleischkonzern JBS ins Visier, der in Brasilien eng verflochten ist mit der Bolsonaro-Regierung und auf Kosten seiner Belegschaft, der Umwelt sowie der Bevölkerung wirtschaftet. Dagegen versteht Costa den Veganismus als „Teil revolutionärer Praxis“. Fleischkonsum sei früher zwar „historisch notwendig“ gewesen, sei heute aber durch die „Produktivkraftentwicklung“ entbehrlich (13). Stache ergänzt: Auch Laborfleisch sei eine von der Fleischindustrie selbst entwickelte Scheinlösung für die mit der Fleischproduktion verbundenen sozialen und ökologischen Probleme (15). Zudem hat sich das Fleischkapital in der Pandemie als Superspreader für Corona-Infektionen erwiesen, wie Stache und Bernhold zeigen – nicht nur durch die Arbeitsbedingungen in den Fleischfabriken, sondern auch durch seine Eingriffe in die Natur und die Ökosysteme und damit die Freisetzung von Krankheitserregern aus der Tierwelt in die Gesellschaft.

Weitere anregende Beiträge können hier nur stichwortartig genannt werden, so etwa die Auseinandersetzung der Schweizer Tierrechtsgruppe Zürich mit der Volksinitiative gegen Massentierhaltung und der neuartigen Tierrechtsinitiative „Anonymous for the Voiceless“, die auch politisch nach rechts offen sei, etwa wenn „Männerrechtsaktivisten“ und „Trump-Anhänger“ aufgefordert würden, sich der Bewegung anzuschließen (20f.). Das „Offene Antikapitalistische Klimatreffen München“ (OAKM) beschreibt in einem Interview den Zusammenhang zwischen dem „Kampf gegen die Klimakatastrophe“ und dem Klassenkampf auch gegen das Fleischkapital.

Das Heft schließt mit einem Kulturteil ab, in dem u. a. Moshe Zuckermann die These vertritt, dass dem „Kater-Motiv“ in Wladimir Majakowskis „Ode an die Revolution“ ein „Konnex von sozialistischem Revolutionskampf, Emanzipationsemphase und authentischer Sorge um die Tierwelt“ zugrunde liege (26).

Das radikale Plädoyer für Veganismus ist nach wie vor für Kontroversen gut. Die sind aber nicht das Anliegen diese Zeitung. Vielmehr wird das Plädoyer für vegane Produktion und Ernährung hier fundiert und kenntnisreich vorgetragen und aufgefächert. Im Editorial heißt es, die Zeitschrift wolle „einen kleinen Beitrag“ für die „Organisation politischer Macht für den Klassenkampf“ gegen das „Fleischkapital und seine Lobby“ leisten. Das Ziel sei eine vegane, ökologisch nachhaltige und demokratisch kontrollierte Produktion“. Kritisch lässt sich einwenden, dass einige Texte aufgrund ihrer doch sehr komplexen Diktion die breitere Mobilisierung für dieses Ziel nicht eben leicht machen. Erläuterungen und illustrierende Beispiele wären hier hilfreich gewesen.

Aus: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Ausgabe 127, September 2021