Enteignung des Fleischkapitals

Ein Zeitungsprojekt marxistischer Tierbefreier sagt Tönnies & Co. den Kampf an

Matthias Rude

Die Fleischindustrie beutet Arbeiter und Tiere aus und ist im großen Stil für die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen mitverantwortlich. Das hat »Auswirkungen, die längst auch für die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Planeten und sein Ökosystem eine ernsthafte Bedrohung darstellen«, heißt es im Editorial der vom Bündnis Marxismus und Tierbefreiung (MuTb) herausgegebenen Zeitung mit dem Titel »Das Fleischkapital«. So sind etwa Zucht-, Mast- und Schlachtbetriebe wahre Brutstätten von gefährlichen Viren. Das Wissen über die gigantischen Verwerfungen der Fleischindustrie ist inzwischen zumindest weit verbreitet – nicht erst seit dem letzten Tönnies-Skandal im vergangenen Jahr. Weshalb aber wird sie dennoch weiterhin von der großen Mehrheit der Gesellschaft akzeptiert und Fleisch als Nahrungsquelle bis hinein in die Linke oftmals sogar fetischisiert?

Das Bündnis, das 2014 von Aktiven aus der Tierbefreiungsbewegung und der kommunistischen Linken aus Deutschland und der Schweiz gegründet wurde, erklärt diese gegen die eigenen genuinen Interessen gerichtete Fleischkonsumhörigkeit mit dem Hegemoniebegriff des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci: Das Fleischkapital forme etwa durch aggressive Dauerwerbekampagnen »eine ganze karnivore Lebensweise, um seine Geschäfte und Existenz in der Alltagskultur der Menschen zu verankern«; und bisher sei es den Fleischmagnaten geglückt, auch »die Zustimmung der subalternen Klasse und ihrer Fraktionen zur Tierausbeutung zwecks Profitproduktion erfolgreich zu organisieren«. Statt den Schwerpunkt lediglich auf Plädoyers für die Veränderung individueller Konsumgewohnheiten oder die Hoffnung in kapitalismuskonforme Scheinlösungen wie In-vitro-Fleisch zu legen, bedürfe es einer revolutionären Realpolitik für die »Enteignung und Konversion der Fleischindustrie hin zu einer veganen, ökologisch nachhaltigen und demokratisch kontrollierten Produktion« von Nahrungsmitteln, so eine zentrale These von MuTb. Begleitet werden müsse diese Politik durch radikale Ideologiekritik sowie eine sozialistische Kunst und Gegenkultur für die Befreiung von Mensch, Tier und Natur auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Vor allem marxistische Kunst und Gegenkultur sähen sich heute mit einer der größten Herausforderungen der Geschichte konfrontiert, heißt es in einem Artikel der Zeitung. Es gehe um nichts weniger, als »auf die höchste Not des Planeten Erde vor dem Klimakollaps und Ökozid der Natur und von allem, was in ihr atmet, aufmerksam zu machen und die Solidarität des Lebens einzuklagen«.

In den Beiträgen der Zeitung wird die Tierindustrie nicht nur als Lohnsklavenhalter, Überausbeuter (im Zentrum des imperialistischen Weltsystems) und »Superspreader« in der Coronapandemie analysiert. Es wird auch die Frage diskutiert, wie der Kampf gegen das Fleischkapital erfolgreich sein kann, und an Klima- und Tierbefreiungsaktivisten, Gewerkschafter, Antiimperialisten und andere Linke appelliert, mehr miteinander zu kooperieren und gemeinsam eine schlagkräftige revolutionäre Bewegung aufzubauen.

Quelle: http://www.melodieundrhythmus.com/mr-3-2021/enteignung-des-fleischkapitals/